Amaya und die Gänsefeder
Darum geht's
Amaya ist verzweifelt: Ihr geliebter Kuschelhase Nunu ist verschwunden! Auf der Suche begegnet sie Gustine, einer liebevollen Gans, die ihr auf ungewöhnliche Weise hilft. Mit einer verzauberten Feder lernt Amaya, die Welt aus einer neuen Perspektive zu sehen – und entdeckt, dass manches nur sichtbar wird, wenn man daran glaubt und vertraut.
Als Amaya an diesem Nachmittag mit ihrer Hündin Cora auf der Wiese spielte, hatte sie ihren Kuschelhasen Nunu natürlich dabei. Er war bei jedem Abenteuer dabei – und heute spielten sie gemeinsam mit Cora Fangen auf der großen Wiese hinter der Scheune. Amaya liebte es, wenn ihre blonden Haare beim Rennen im Wind wehten, und Cora sprang aufgeregt vor ihr her. Sie rannten um die Obstbäume, sprangen über die kleinen Gräben am Wegesrand und machten gemeinsam Purzelbäume.
Amaya hatte dabei immer so viel Spaß, dass sie alles um sie herum vergessen konnte. Kuschelhase Nunu hatte es sich auf dem Baumstumpf zwischen den anderen Obstbäumen bequem gemacht und schaute den beiden beim wilden Flitzen zu.
Als sie später am Nachmittag nach Hause ging, war sie müde und voller neuer Eindrücke. Nach einer warmen Dusche ging Amaya zurück in ihr Zimmer, um eine Runde mit Nunu auf dem Bett zu Kuscheln.
Sie sah aufs Bett – und erschrak. Nunu war nicht da! Nunu lag nicht wie sonst nach dem Spielen auf dem Kissen und wartete auf sie.
„Mama! Hast du Nunu gesehen?“, rief sie laut durch den Flur.
„Nein, Schatz. Hattest du ihn nicht draußen dabei?“
Amaya schluckte. Natürlich hatte sie ihn draußen gehabt – aber wo? War Nunu noch auf der Wiese bei den Obstbäumen?
Ohne zu zögern, lief sie mit Cora zurück hinaus. Sie suchte unter dem Apfelbaum, am Wegrand, im Gras neben ihrem Picknickplatz.
„Oh nein!“, rief Amaya. Sie drehte sich im Kreis, suchte den Boden ab, sah ins Gras, unter einen Busch – nichts. Cora schnüffelte zwar eifrig überall, wo sie entlang gerannt waren, aber fand nur ein paar Maulwurfshügel. Aber von Nunu war weit und breit nichts zu sehen.
„Nunu muss doch irgendwo sein!“, murmelte Amaya. Ihre Augen wurden feucht.
Was, wenn sie draußen übernachten musste? Wenn sie nass wurde? Oder von einem Huhn verschleppt wurde? Sie suchte weiter. Hinter dem Stall, im Gemüsegarten, sogar im Hühnergehege – aber ihr Kuschelhase blieb verschwunden.
Amaya setzte sich traurig ans Ufer des kleinen Teichs hinter der Scheune. Dort war es immer ruhig. Nur das Wasser plätscherte leise gegen die Steine.
Und da hörte sie etwas:
Plitsch… platsch… tap… tap…
Eine Gans watschelte heran. Amaya kannte sie – es war Gustine, sie war groß, weiß und hatte eine leicht schiefe Schnabelspitze. Meist lag sie still im Gras oder beobachtete das Wasser. Aber Amaya hatte noch nie ihr Schnattern gehört.
Jetzt blieb die Gans einfach stehen und blickte Amaya mit ihren Gänseaugen liebevoll an. Gustine watschelte ein paar Schritte näher zu Amaya. Mit einem kurzen, entschlossenen Ruck zupfte sie eine schneeweiße Feder aus ihrem Gefieder. Vorsichtig hielt sie die Feder in ihrem Schnabel und legte sie sanft direkt vor Amayas Füße.
Amaya blinzelte überrascht.
„Für mich?“ fragte sie leise, als könnte ein zu lautes Wort das zarte Geschenk wegwehen.
Vorsichtig bückte sich Amaya und hob die Feder auf. Kaum hatte sie sie zwischen den Fingern, begann die Feder in einem warmen, silbrigen Licht zu schimmern. Ein warmes Kribbeln breitete sich von ihren Fingerspitzen aus, zog über ihre Arme, kitzelte in ihrem Bauch und wanderte schließlich bis in ihre Zehenspitzen.
Amaya hielt den Atem an. Es fühlte sich an, als würde etwas Magisches in ihr erwachen – etwas, das sie noch nicht ganz verstand.
„Du suchst etwas Wichtiges“, hörte Amaya eine schnatternde Stimme.
Verwundert schaute sie sich um. War das etwa Gustine gewesen?
Amaya rieb sich die Augen.
„Hast du gerade … gesprochen?“, fragte sie zögerlich.
Die Gans neigte leicht den Kopf und blinzelte freundlich.
„Natürlich“, antwortete sie, als wäre es das Normalste der Welt.
Amaya setzte sich auf die Wiese und schaute Gustine staunend an. „Aber… Gänse können doch gar nicht sprechen!“
Gustine wackelte mit dem Schnabel. „An besonderen Tagen, wenn der Wind richtig steht und ich eine meiner Federn verschenke, dann schon.“
Amaya lächelte unsicher. Irgendwie fühlte sich das alles verrückt an – aber auch ein kleines bisschen richtig.
„Also gut“, sagte sie schließlich und seufzte tief, „ich suche meinen Kuscheltierhasen. Nunu. Sie ist weg… und ich hab schon überall gesucht.“
Gustine blinzelte weise.
„Manchmal muss man von oben sehen, was man unten nicht mehr finden kann“, schnatterte sie sanft.
„Aber ich kann doch nicht fliegen!“, rief Amaya und ließ den Kopf hängen.
Gustine blinzelte erneut und sah so auf, als hätte die Gans eine Idee. Sie trat noch einen Schritt näher an Amaya heran und der Wind strich über das Wasser, als würde er lauschen.
„Ich kann dir helfen. Aber nur, wenn du mir vertraust und meine Feder immer bei dir hälst.“
Amaya schaute überrascht – aber sie spürte etwas Warmes in der Brust. Etwas sagte ihr: Vertrau ihr.
Die Gans breitete ihre Flügel aus, langsam und kraftvoll. Eine Windböe erhob sich – leicht, aber wirbelnd und die Feder in Amayas Hand glitzerte wieder. Und bevor Amaya sich versah, fühlte sie sich leicht. So leicht wie ein Blatt im Wind.
Langsam, ganz sanft, hob sie ab. Ihre Füße lösten sich vom Boden. Cora bellte kurz erschrocken, aber dann wedelte sie mit dem Schwanz.
Amaya schwebte! Nicht schnell, nicht hoch – aber sie glitt über den Hof, getragen vom Wind, begleitet von der Gans, die unter ihr mit ihren großen Flügel durch die Luft glitt wie die Seerosen im Teich.
Amaya war begeistert. Von oben sah alles ganz anders aus: Die Scheune wirkte winzig, der Hühnerstall sah aus wie ein buntes Mosaik. Wie beim Fangenspielen wehte Amayas Haare wild im Wind. Für einen Moment schloss sie die Augen und genoss dieses Gefühl. Dann konzentrierte sich Amaya und schaute auf jeden Winkel des Bauernhofs.
Und dann, nach einer Weile, entdeckte sie etwas – zwischen dem Kompost und ein paar flatternden Hühnern – sah sie etwas Weiches, Helles im Gras liegen.
„Da! Da ist Nunu!“ rief sie aufgeregt.
Die Gans Gustine nickte. Da ließ der Wind nach, Amaya schwebte langsam zurück zum Boden – direkt neben dem Haufen, in dem Nunu lag. Etwas zerzaust, mit einem winzigen Hühnerfußabdruck am Ohr – aber heil.
Amaya hob Nunu hoch in die Luft, drehte sie vor Freude im Kreis und drückte sie fest an sich. Dann schaute sie zu Gustine, die neben Amaya gelandet war und rief: „Danke! Danke!“
Gustine neigte ihren Kopf und zwinkerte Amaya noch einmal freundlich zu, bevor sie sich wieder in die Luft erhob.
Amaya schaute ihr noch hinterher und flüsterte: “Das war magisch … wirklich magisch.” Dann machte sie sich auf den Rückweg. Als sie um die Ecke der Scheune bog, rannte Cora schwanzwedelnd auf sie zu. Amaya umarmte Cora und zeigte Nunu. Die Hündin bellte vor Freude und gemeinsam hüpften sie, um das Wiederfinden von Nunu zu feiern.
Dann gingen sie weiter. Als sie am Teich vorbeikamen, schwamm Gustine schon wieder in der Teichmitte. Und diesmal hörte Amaya, wie Gustine leise vor sich hin schnatterte, als wäre nichts geschehen.
Am Abend saß Amaya mit Mama und Papa beim Picknick auf dem Feld. Cora lag zu ihren Füßen, Nunu in ihrem Arm.
„Und? Hast du Nunu gefunden?“ fragte Papa.
Amaya nickte stolz.
„Mit Hilfe der Gänsemutter Gustine. Ich durfte fliegen.“
Mama schmunzelte.
„Na, dann bist du ja jetzt unsere Flugexpertin auf dem Hof.“
Und während die Sonne unterging, schloss Amaya die Augen und flog in ihren Gedanken noch einmal mit Gustine über den Hof, wobei ihre Haare so schön im Wind wehten. Amaya nahm die Gänsefeder aus ihrer Hosentasche und fühlte ganz leicht das vertraute Kribbeln – als hätte Gustine ihr ein Stück Magie dagelassen.
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