Anton rettet die Welt
Eine Kindergeschichte von Martina Kanold
Anton möchte sich am liebsten auf den Schlitten schwingen und durch den Schnee flitzen. Doch das Wetter spielt nicht mit und es ist nur am regnen. Er muss es doch irgendwie hinkriegen, dass es anfängt zu schneien…
Nach Alter: Ab 4 Jahre
Nach Lesedauer: Ca. 6 Minuten
Anton rettet die Welt | Seite 1/2
Die Welt glich einem aufgeweichten Pausenbrot. Anton starrte aus dem Küchenfenster und betrachtete den trüben Januarnachmittag. Seine Gedanken vermischten sich mit den dicken Regentropfen, die an der Scheibe herab rollten und sich auf dem Fenstersims zu einer riesigen Lache vermengten. „Ich will Schlittenfahren!“, dachte er missmutig. Stattdessen 13 Grad und Regen. Er hatte es gründlich satt. Irgendetwas musste geschehen, damit es endlich schneite. Anton stapfte mit dem Fuß auf den Boden und in dieser Sekunde fasste er einen Entschluss. Er musste handeln.
Kurzentschlossen stülpte er sich seinen quietschgelben Regenmantel über und schlüpfte in die Gummistiefel. Im nächsten Moment fand er sich auf der Straße wieder. Nur, was sollte er tun? Anton hatte keine Ahnung. Schritt für Schritt lief er grübelnd die Straße entlang. Ganze Bäche sammelten sich in der Regenrinne und wurden vom Gully verschluckt. Lustlos kickte er gegen eine auf dem Gehweg liegenden leere Energydrink-Dose. Tief in seine Gedanken versunken störte ihn das aber nicht weiter. Anton hob den Blick und entdeckte auf der anderen Straßenseite ein Geschäft. „Antiquariat zum Heiligen Sankt Michael“ las er. Was um alles in der Welt war ein Antiquariat? Er hatte keine Ahnung. Aber irgendetwas zog ihn in den Laden. Waren es diese uralten, in Leder gebundenen Bücher, die er im Schaufenster sah oder war es dieses seltsame Ölgemälde mit dem goldenen Rahmen? Ein Mann in Ritterrüstung mit einem langen Schwert, aus dessen Rücken riesige Flügel wuchsen, kämpfte dort gegen einen feuerspeienden Drachen. Neugierig betrat Anton das Geschäft.
Ein Geruch aus Staub und alter Druckerschwärze schlug ihm entgegen. Meterhohe Regale mit antiken Büchern verzierten die Wände. Das gesamte Wissen der Welt schien an diesem Ort vereint zu sein. Staunend blickte Anton sich um. Keine Menschenseele war zu sehen. Leise schloss er die Tür hinter sich und hängte seinen Regenmantel an die Garderobe. Auf dem Boden bildeten sich kleine Pfützen. Vorsichtig zog er ein Buch aus einem der Regale.
„Das wurde aber auch Zeit, dass du endlich kommst“, ertönte eine brummige Stimme hinter ihm.
Anton wäre vor Schreck beinahe umgefallen. Mit einem Ruck drehte er sich um und sah sich einem alten Mann mit einem buschigen, weißen Bart und schneeweißen Haaren gegenüber. Er sah genauso alt aus, wie all diese Bücher hier, die sorgfältig in den Regalen verstaut waren. Sein Gesicht war zerknautscht wie eine verschlissene Hundedecke. In seinen kräftigen Händen hielt er einen Globus. „W… Wer sind Sie?“, brachte Anton mühsam hervor.
„Du hast es doch draußen gelesen!“, antwortete der Greis.
„Sie … meinen … Sie sind der Heilige Sankt Michael?“ Anton dachte, der Mann wollte ihn veralbern.
„Na ja, früher kämpfte ich gegen Drachen. Dann kam die Reformation. Heutzutage glauben nicht mehr so viel Menschen an uns Heilige. Ich werde nur noch ganz selten angerufen. Darum habe ich mir einen Laden eingerichtet, um mir die Zeit zu vertreiben. Die Ewigkeit ist lang.“ Der Mann verzog seinen Bart zu einem freundlichen Lächeln.
Anton sah ihn mit großen Augen an. „Und wieso haben Sie auf mich gewartet?“, wollte Anton wissen.
„Ich schenke dir die Welt. Gib gut auf sie Acht!“ Mit diesen Worten überreichte ihm der alte Mann den Globus und verschwand hinter einem Stapel Bücher.
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Anton war völlig verblüfft. „Halt! Warten Sie!“, rief er ihm hinterher. Aber da war der Mann auch schon verschwunden. Anton betrachtete den Globus. Er war wunderschön. Die Kugel war aus Holz gearbeitet und mit feinen Pinselstrichen waren darauf die Kontinente und die Meere eingezeichnet. In den Meeren schwammen kleine Fische und Ungeheuer. Der Standfuß war aus Kupfer und darum richtig schwer. Anton hatte noch nie in seinem Leben so etwas Wertvolles besessen. Ihm wurde ganz warm ums Herz. Vorsichtig wickelte er den Globus in seinen Regenmantel und machte sich auf den Weg nach Hause.
Dort angekommen klingelte er Sturm. Die Mutter öffnete die Tür.
„Anton! Wo kommst du denn her?“, fragte sie.
„Keine Zeit! Ich muss die Welt retten!“, antwortete er im Vorbeirasen und ließ seine verdutzte Mutter stehen. Er hastete die Kellertreppe hinunter bis zur Vorratskammer. Dort, wusste er, stand die große Kühltruhe, in der seine Mutter gefrorene Beeren und Gemüse lagerte. Mit etwas Mühe schaffte er es, die Truhe zu öffnen. Dann schob er einen Kasten Mineralwasser heran und stellte sich darauf. Jetzt war er groß genug, um in die Truhe hineinreichen zu können. Er schälte den Globus aus seinem Regenmantel und legte ihn behutsam in die Tiefkühltruhe. Dann schloss er ganz sachte den Deckel. Danach räumte er den Kasten zurück an seinen Platz, wusch sich die Hände und setzte sich an den gedeckten Küchentisch.
„Anton, wo warst du nur die ganze Zeit?“, fragte ihn seine Mutter, trocknete sich an einem Geschirrtuch die Hände und setzte sich dazu. Es roch köstlich nach Nudeln mit Tomatensoße.
„Alles klar, Mama! Ich hab’ es erledigt! Jetzt wird alles gut!“
Die Mutter sah den Vater verständnislos an. Der schüttelte unmerklich den Kopf, was so viel hieß wie: Lass ihn nur machen. Die Mutter seufzte und teilte das Essen aus.
Als Anton am nächsten Morgen erwachte, fielen vor seinem Fenster dicke Schneeflocken herab. Mit einem lauten Schrei hüpfte er aus dem Bett und öffnete das Fenster. Die Welt lag unter einer weißen Schneedecke begraben. Jauchzend sprang er die Treppe hinunter und eilte in die Küche.
„Mama, Mama, hast du’s gesehen? Es schneit! Es schneit! Ich hab es geschafft!“ Im selben Moment hörte er einen Aufschrei aus dem Keller „Anton, was zum Teufel …!“ Darauf folgte ein lautes Krachen. Anton raste die Treppe hinab in den Keller. Da lag der Globus auf dem Boden, in tausend Teile zerbrochen.
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Rezensionen zu dieser Geschichte
Leserbewertungen
Zieht in den Bann!
Schon der erste Satz… Einfach toll! Die Geschichte vermittelt eine ganz eigene Stimmung, die einen sofort in den Bann zieht. Ich wäre als Kind auch gern in ein solches Antiquariat gestolpert. Die Idee ist super, die Geschichte zauberhaft, gefühlvoll und zugleich lustig geschrieben. Und den Kindern werden neue, wundervolle Wörter zugetraut. Sehr stark!