Logo zum Kinderbuch "Albert und Mimi – Eine besondere Freundschaft und ein echter Kriminalfall", ein Bilderbuch zum Vorlesen ab 5 Jahren über ein tierisches Detektivabenteuer voller Freundschaft, Vielfalt und Zusammenhalt

Die Auserwählte des Zauberbuchs 2/3

🎯 ab 11 Jahren

🕔 ca. 7 Minuten

📚 aus dem Fantasyroman: Marlene – Die Auserwählte des Zauberbuchs

Darum geht's

Marlene rennt durch das magische Portal aus goldenen Tropfen. Sie sucht nach dem mysteriösen Mädchen und entdeckt dabei einen strahlenden Zweig. Als sie nach ihm greift, hört sie erneut die Stimmen in ihrem Kopf. Eine schwarze knochige Hand greift ebenfalls nach dem Zweig und Marlene wird von beißender Kälte umhüllt. Als sie sich befreien kann, taucht das Mädchen vor ihr auf, das sich als Alsuna vorstellt.

Auf der anderen Seite hielt Marlene die Augen immer noch fest geschlossen. In ihrem Kopf drehte sich alles. Es fühlte sich ein bisschen wie die Aufregung vor einem Mathetest an. Sie tat also, was sie auch vor dem Eintreffen von Herrn Peters tun würde: dreimal tief ein- und ausatmen.

Es half. Zumindest ein bisschen. Marlene öffnete ein Auge.

Ihr entfuhr ein Keuchen, das eine Mischung aus Überraschung und Erleichterung war. Sie stand noch immer auf der Lichtung! War das hier gerade wirklich geschehen? Marlene merkte ein leichtes Kribbeln auf ihrem Arm und hob ihn vor das Gesicht.

Goldene Tropfen rannen daran hinab und verschwanden dann mit einem letzten Aufblitzen. Ein frischer Wind blies ihr eine braune Strähne aus dem Gesicht und den würzigen Geruch der sie noch immer umgebenden Fichten und aufgewühlter Erde entgegen.

»Es ist echt. Kein verschwommener Traum«, stellte sie mit einem ehrfürchtigen Flüstern fest. Marlene brauchte ein paar Sekunden, bevor sie sich mit einem freudigen Auflachen von dem letzten Zweifel befreite. »Ich bin tatsächlich durch ein Portal gegangen!« 

Aber mit der Hoffnung, dass sie nun zur Heldin ihrer eigenen Geschichte werden könnte, stürzten auch Fragen auf sie ein: An welchem Ort war sie gelandet? War sie noch in der

Menschenwelt in derselben Zeit oder gar in einer anderen Welt? War sie hier willkommen oder lauerten hinter der nächsten Ecke schon die ersten Gefahren?

Marlene schlang die Arme schützend um ihren Oberkörper. Dann streckte sie den Rücken durch und sprach sich selbst Mut zu: „Sei kein Hasenfuß! Los! Hinein ins Abenteuer!“ Mit festen Schritten hielt sie auf die dunkelgrüne Linie zu, die die Grenze zum Wald kennzeichnete.

Marlenes Blick heftete sich auf das Muster aus Schatten und Licht auf dem braunen Waldboden. Da blendete sie etwas so stark, dass sie blinzeln musste. Zwischen dem Wurzelwerk eines umgestürzten Baumes klemmte ein kleiner Zweig. Er glänzte und funkelte, obwohl kein Sonnenstrahl ihn berührte. Langsam ging sie darauf zu. Als Marlene nach ihm greifen wollte, fauchte sie etwas aus dem Schatten an und streckte seine schwarze, knochige Hand nach dem Zweig aus.

»Nein! Schnell! Nimm ihn!«, rief eine hohe Stimme panisch hinter ihr.

Marlene überlegte nicht lange und schnappte sich schnell das Wunderding. Das Wesen aus der Dunkelheit stieß einen schrillen Schrei aus und brach aus seinem Versteck unter den Wurzeln hervor. Marlene war starr vor Schreck. Sie tat keinen Schritt, hielt den Zweig aber fest umklammert.

Herum wirbelnde Schatten bildeten einen schmalen, kahlen Kopf, unter dem sich ein Körper in die Länge zu ziehen begann. Die düstere Gestalt glitt geräuschlos über den Boden, bis sie direkt vor ihr schwebte. Sie blickte Marlene aus leeren, trüben Augen an, als sei darin ewiger Nebel aufgezogen. Schwarze Fäden lösten sich aus dem Schattenumhang und krochen langsam Marlenes rechtes Bein hoch, schlängelten sich um ihren Bauch, den Arm, bis sie fast die Hand mit dem Zweig erreicht hatten.

Marlene zitterte. Nicht nur vor Angst, sondern auch wegen der beißenden Kälte, die nun von ihrem Körper Besitz ergriffen hatte. Die Begegnung dauerte nur ein paar Wimpernschläge, doch für Marlene fühlte es sich wie Stunden an. Noch ein wenig länger und sie hätte aus dieser weißen, kalten Leere vielleicht nicht mehr herausgefunden. Da sackte die Gestalt plötzlich in sich zusammen und verschmolz wieder mit der Dunkelheit, aus der sie gekommen war.

Marlenes Beine wollten ihr nicht mehr gehorchen. Sie knickten ein, sodass Marlene sich auf dem erdigen Boden wiederfand. Neben ihr kniete das Mädchen mit den roten Haaren. Fassungslos starrte Marlene sie an und flüsterte: „Du bist wirklich hier!“

Fasziniert versuchte Marlene alles von ihrer Gestalt aufzunehmen. Sie war kein Geist, keine blasse Hülle! Die Haare hatten nicht länger die Farbe von Fuchsfell, sondern leuchteten wie lodernde Flammen. Die wilden Locken bildeten einen Kontrast zu dem edlen Gesicht, das so hell und kühl wie Perlmutt strahlte.

»Danke! Fast hätte der Njól ihn gehabt«, hauchte das schöne Mädchen. Es stemmte sich wieder hoch auf die Beine und zog dabei Marlene mit erstaunlich großer Kraft mit sich. »Das war ganz schön knapp.«

Es pustete sich eine wirre Strähne aus der Stirn und forderte: »Du kannst mir den Zweig jetzt wiedergeben. Er muss mir bei meiner Flucht aus der Tasche gefallen sein.«

Kein Wort kam über Marlenes Lippen. Dabei tobte in ihrem Kopf ein Wirbelsturm aus Fragen.

»Mach schon. Er gehört dir nicht«, drängelte das merkwürdige Mädchen.

Marlene schluckte. »Erst, wenn du mir verrätst, wer oder was du bist, warum du vor mir weggelaufen bist und vor allen Dingen, wo ich hier gelandet bin!«

Das rothaarige Mädchen legte misstrauisch die Stirn in Falten, sodass sich die feinen dunkelgrünen Symbole darauf zu schrägen Linien verzogen. Schon wenn sie diesem neugierigen Ding ihren Namen und ihre Herkunft verraten würde, würde sie die wichtigste Regel ihres Volkes brechen: Vertraue keinem Menschen!

Die Rundohren sind egoistisch, gierig und hinterlistig. Sie handeln stets zu ihrem eigenen Vorteil. Aber nun war das Menschenmädchen nicht länger unter seinesgleichen, sondern hier. Was sollte es schon anrichten können?

Die Elfe atmete tief ein und fuhr fort: »Na gut«, begann sie mit fester Stimme. »Du befindest dich in Alfheim, dem Reich der Lichtelfen. Mein Name ist Alsuna und ich bin eine von ihnen.«

Jetzt war es raus. Alsuna wartete auf ein entsetztes Aufschreien, doch das Mädchen schien keineswegs überrascht oder gar verängstigt. Alsuna las in ihrem Gesicht nur eine stumme Erkenntnis, als habe sie schon geahnt, dass sie sich nicht mehr in der Menschenwelt befindet. Marlene reichte ihr mit einem freundlichen Lächeln die Hand.

»Hallo. Es freut mich dich kennenzulernen, Alsuna die Lichtelfe.«

Als Marlene aber bemerkte, mit welch Skepsis Alsuna diese Geste verfolgte, ließ sie die Hand sofort wieder sinken und versuchte es langsamer: »Nun, da du mir deinen Namen genannt hast, verrate ich dir auch meinen: Ich heiße Marlene … Marlene Maulbeer.«

Nun konnte sie aber ihre Neugier nicht länger zurückhalten und fragte höflich: »Passiert es häufig, dass Elfen in unseren Wäldern spazieren gehen?«

Alsuna schnappte nach Luft und versuchte, sich ihre Empörung nicht in vollem Ausmaß anmerken zu lassen. »Nein, das kommt so gut wie nie vor! Elfen haben es nicht nötig, einen Fuß in die Menschenwelt zu setzen. Außerdem bin ich nicht spazieren gegangen, sondern …«, sie zögerte, »… habe nach etwas aus der Elfenwelt gesucht, was dich nicht zu interessieren hat.«

Marlene nickte. Sie wollte der Lichtelfe nicht zu nahe treten und händigte ihr wie versprochen den Zweig aus. Schnell schob Alsuna ihn unter ihren Mantel.

Marlene klopfte sich Erde von ihrem Pullover und versuchte, eine weitere Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen: »Und was ist das nun für ein Zweig?«

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