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Beitragsbild der Geschichte "Genau wie ich", SoulStory Schreibwettbewerb von dem Soulbuddies e.V.

Genau wie ich

eine Geschichte aus dem SoulStory Schreibwettbewerb, geschrieben von Lena Meier (16 Jahre)

„Warum willst du unbedingt zu dem Fluss? Das Kino ist doch viel spannender?“, hat mich meine Freundin letztens gefragt. 

„Ich weiß nicht, irgendwie beruhigt er mich“, habe ich geantwortet. 

Doch wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann stimmt das nicht. Ja, vielleicht kann mich seine Gegenwart entspannen, doch nicht, weil das Wasser ruhig und endlos an mir vorbei schwimmt, sondern viel mehr, weil er so ist wie ich.

Er ist langsam und entspannt, wie ich, wenn ich mal nicht für Klausuren lernen muss, wenn ich meinen Vortrag über Ammoniaksynthese geschafft habe und wenn ich kurz vorm Einschlafen bin. Denn dann kann ich kurz mal atmen. Meinen Nerven auf Wiedersehen sagen. Bemerken, dass mein Leben nicht nur aus Stress besteht. Ich kann mal kurz denken, mich fragen, was ich zu Abend essen will. Ich kann atmen. Genau wie er.

Er ist wild und reizend, wie ich, wenn mir alles zu viel wird. Wenn ich vor Stress fast umkippe. Wenn mein Kopf wieder so laut ist, dass ich kaum noch etwas anderes höre. Wenn ich das Gefühl habe, komplett unterzugehen. Wenn ich bemerke, dass ich wieder nur am Arbeiten bin und trotzdem noch 1.000 Sachen machen muss. Ich bin dann so unruhig, so unkontrolliert, so wütend, so gestresst. Genau wie er.

Und wenn dann alles zum Überlaufen kommt, ich denke, dass ich das alles nicht mehr packe, dass alles viel zu viel ist und es keine Möglichkeit mehr für mich gibt, meine To-dos zu schaffen, dann bin ich sauer auf alles. Ich verletze andere, bin patzig zu ihnen, auch wenn ich das gar nicht will. Ich scheuche sie fort, auch wenn sie mir nur helfen wollten. Genau wie er, wenn seine Wellen so hoch sind, seine Strömung so stark ist, dass andere Angst haben und von ihm weggehen.

Doch dann wird er wieder ruhiger. Der Wind und Regen des Sturmes legen sich. Das Wasser fließt wieder langsamer. Genau wie ich, wenn ich meine Aufgaben doch noch geschafft habe. Wenn meine harte Arbeit belohnt wird. Wenn mein Referat gut gelaufen ist. Wenn ich mit mir endlich mal halbwegs zufrieden bin. Er spiegelt nicht nur meine Gefühle wider, sondern mein ganzes Leben. Höhen und Tiefen. Wellen und Trockenheit. Stress und Frieden. Sturm und eine leichte Brise.

„Und warum genau sind wir jetzt 15 Minuten hier hingelaufen, haben uns durch das Dickicht geschlagen, wenn ich eigentlich zu dem Elefanten und zum Basketballplatz wollte? War das nicht voll unnötig? Wir können nicht mal schwimmen, weil die Strömung doch viel zu stark ist“, hat meine Freundin zu mir gesagt. 

„Ich weiß nicht, irgendwie beruhigt er mich“, habe ich geantwortet, während ich einfach nur auf das Wasser gestarrt habe. 

Ich habe mich mit ihm verbunden gefühlt, habe unsere Gemeinsamkeiten erkannt, habe gewusst, dass es ihm gerade genauso schlecht ging wie mir.

„Vielleicht ist gerade alles kacke bei dir. Stress, Probleme mit Eltern, das Gefühl nirgends dazuzugehören. Aber vertrau mir, wenn ich sage, dass die Zeiten wieder besser werden. Du bist nicht allein. Du hast die Kraft, das durchzustehen. Denn das musst du, um zu lernen, um zu leben“, hat er zu mir gesagt.

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