
Kapitel 1: Das Drachenschild
Darum geht's
Der elfjährige Ben ist neu in der Stadt und vermisst sein altes Leben. Eines Morgens weckt das rätselhafte Schild der Bäckerei “Feuerfleck” seine Neugier. Hat der Drache auf dem Schild ihm gerade wirklich zugezwinkert?
Ben stand vor der Bäckerei. Das Gebäude war zwischen zwei Häusern eingezwängt und wirkte auf ihn, als wäre es verzaubert. Warum konnte Ben nicht sagen. Lag auf der Bäckerei ein Schimmer oder lag es an dem Drachen? Das Firmenschild der Bäckerei Feuerfleck war ein grüner Drache und quietschte leicht im Wind hin und her. Er hatte einen goldenen Schlüssel in seinem Maul. Ben starrte das Schild an. Was war denn das? Bestimmt hatte er sich das nur eingebildet.
Doch da, da war es schon wieder.
»Das gibt es doch nicht«, hauchte er. Da steckte Frau Feuerfleck den Kopf aus der Ladentür. Sie lächelte ihn an.
»Was ist los? Warum stehst du hier mit weit offenem Mund? Komm rein! Ich habe dir dein Pausenbrot schon hergerichtet.«
Folgsam tappte Ben der rundlichen Frau mit den feuerroten Haaren hinterher. Sie war nicht viel größer als Ben. Ihr gehörte nicht nur die Bäckerei, sondern das ganze Haus.
Ben und seine Mama wohnten oben unter dem Dach. Die Wohnung von Frau Feuerfleck lag zwischen ihrer und dem Bäckerladen. Im Laden war es warm und ein köstlicher Duft von frischgebackenem Brot lag in der Luft. Hinter der Vitrine türmten sich Berge von frischen Brötchen und anderem Gebäck. Kuchen und Tortenstücke, Kekse und Plunder konnte Ben entdecken. Frau Feuerfleck drückte ihm eine Tüte mit einem Käsespitz in die Hand. Jeden Tag durfte er sich von seiner Mama aus einen Käsespitz holen, bevor er in die Schule ging. Ben liebte diese Leckerei.
In den Sommerferien sind Ben und seine Mama hierher in die Stadt gezogen. Ohne Papa. Er hat sich in eine andere Frau verliebt und deshalb haben sich seine Eltern getrennt. Er könnte schreien und heulen, wenn er daran dachte. Warum nur war das geschehen? Seine Mama ist doch die liebste Mama der Welt. Und sein Papa der liebste Papa von der Welt. Naja, jetzt nicht mehr. Ben war sehr böse auf seinen Vater
»Danke«, sagte Ben. Frau Feuerfleck zwinkerte ihm zu.
»Einen schönen Schultag wünsche ich dir.« Ben nickte und winkte zum Abschied. Draußen sah er noch einmal zum Drachen empor. Nichts. Dann hatte er es sich wohl nur eingebildet. Schade. Vorhin dachte er nämlich, der Drache hätte ihm zugezwinkert. Genauso wie Frau Feuerfleck gerade eben.
Vier Wochen ging Ben jetzt schon in die neue Schule. Er besuchte die Bartholomäus Volksschule. Die Erwachsenen meinten, dass er ein bisschen klein für sein Alter sei und zu dünn. Ben war es egal, er wollte nur wieder zurück. Zurück in sein altes Leben. In das Haus am Waldrand, wo er mit seiner Mama und seinem Papa glücklich zusammenlebte. Er seufzte.
Pia wartete vor der Schule auf ihn. Seit dem ersten Schultag waren sie Freunde. Ihr blondes Haar trug sie meistens zu zwei geflochtenen Zöpfen gebunden. Sie war fast einen Kopf größer als Ben. Er selber hatte dichtes dunkelbraunes Wuschelhaar.
»Hast du für den Sachunterrichttest gelernt?«, begrüßte sie ihn.
Ben verdrehte die Augen. »Mist, das habe ich total vergessen.«
»Okay, pass auf!« Pia leierte den ganzen Unterrichtsstoff herunter, den sie zu lernen auf hatten. Ben versuchte, sich so viel wie möglich zu merken. Als sie geendet hatte, grinste sie. »Irgendwelche Fragen?«
Er schüttelte den Kopf. »Wie machst du das nur, dass du dir alles so gut merkst?«, wollte Ben wissen.
Sie zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung, ich lerne einfach gerne.«
Im Klassenzimmer saß er neben Frederik. Herr Zornig betrat den Raum und wie immer konnte man schon von weitem sehen, dass er schlechte Laune hatte. Ben regte das stark auf. Er konnte es nicht leiden, wenn jemand schlecht aufgelegt war. Der Lehrer blickte Ben streng an. Er konnte ihn nicht ausstehen, das hatte er gleich bemerkt. Das fand Ben ungerecht. Er war ein ruhiges Kind und tat niemanden etwas zu Leide. Vielleicht war genau das der Grund: Ben war ihm zu ruhig.
Während Herr Zornig die Sachunterrichtstests austeilte, sagte er: »Ihr habt zwanzig Minuten Zeit.« Er schaute zu Ben. »Ben, setz dich in die letzte Reihe. Dort kannst du nicht abschauen.«
Ben nahm seinen Schulrucksack und schlurfte nach hinten. Er war wütend, denn er hatte noch nie bei Frederik abgeschaut. Das war auch nicht ratsam, weil Frederik kein guter Schüler war.
So eine Gemeinheit! Ben blickte zu Pia. Sie verzog das Gesicht, schaute grimmig und schüttelte leicht den Kopf. Das hieß, dass sie Herrn Zornig genauso blöd fand wie Ben.
Ben wusste die meisten Antworten auf die Fragen im Test. Was für ein Glück, dass Pia ihm einen Vortrag gehalten hatte.
Genau nach Ablauf der Zeit sammelte Herr Zornig die Tests wieder ein und fuhr im Unterrichtsstoff fort. Ben dachte an den Drachen. Er freute sich schon, wenn er am Nachmittag nach Hause gehen und bei ihm vorbeikommen würde.
Würde er ihm wieder zuzwinkern? Hatte er ihm überhaupt zugezwinkert? Hatte Frau Feuerfleck etwas mit dem Drachen zu tun? Er musste sie unbedingt fragen, warum ihr Firmenschild ein Drache war. Dazu gab es bestimmt eine magische Geschichte.