Kapitel 3: In der Kobold-Höhle
Darum geht's
Als Ella und Henri am nächsten Tag vor ihrem selbstgebauten Tipi stehen, können sie es kaum glauben: Ihr Ferien-Zuhause hat sich in eine graue, zeltförmige Höhle verwandelt! Aus dem Eingang quillt lilafarbener Rauch, der alles noch viel unwirklicher erscheinen lässt. Was ist hier los?
Ella und Henri blinzeln und gucken, blinzeln und gucken. Henri schluckt. „Träumen wir?“
Um herauszufinden, ob sie in Wirklichkeit schlafen, zwickt Ella ihm kurzerhand in den Oberarm.
„Au!“, schreit Henri und reibt sich mit bösem Blick den Arm.
„Wir sind wach!“, schlussfolgert Ella trocken und nähert sich dem Tipi, das nicht mehr so aussieht, wie sie es am Tag zuvor gebaut haben. Es besteht nicht mehr aus Ästen und Zweigen, sondern aus rauem Stein. Ihr Ferien-Zuhause hat sich in eine graue, zeltförmige Höhle verwandelt! Aus dem Eingang quillt lilafarbener Rauch, der alles noch viel unwirklicher erscheinen lässt.
„Es sieht echt aus. Aber ist es auch echt?“ Henri knabbert unsicher an seinem Fingernagel.
Während er so dasteht und grübelt, kann Ella nicht anders und berührt das Tipi. Als sie laut auflacht, legt auch Henri seine Hände an das steinerne Tipi.
Noch immer ungläubig, ruft er: „Ich fass‘ es nicht! Es ist wirklich echt!“
Ella hebt die Hände. „Wie ist das nur möglich?“, fragt sie sich laut und kratzt sich an der Stirn. Als sie sich an etwas erinnert, packt sie Henri an seinem T-Shirt und sagt: „Weißt du noch? Das seltsame Licht und das Blitzen?“
„Ja“, flüstert Henri geheimnisvoll, „es war, als ob Magie im Spiel gewesen wäre.“
„Natürlich“, sagt Ella und lässt ihren Freund wieder los, „so muss es sein: Das Tipi ist verzaubert. Es hat sich auf magische Weise verwandelt.“ Aufgeregt spielt sie mit ihren Fingern. „Was wohl passieren wird, wenn wir hineingehen?“
Die beiden Freunde starren auf den dunklen Eingang. Die Vögel zwitschern, als wäre alles völlig normal. Henri ist etwas mulmig zumute. Doch dann schnappt er sich Ellas Hand. Mutig laufen die beiden los und verschwinden in der grauen Zelthöhle. Die Vögel verstummen. Stattdessen ist ein feines Klirren und Kichern zu hören.
Wo ist der Boden so plötzlich hin? Ella und Henri fallen. Nein, sie fliegen! Haltsuchend klammern sich die beiden Freunde aneinander. Alles dreht sich und funkelt. Die Farben verschwimmen zu wunderschönen, bunten Streifen.
Und dann bleibt die Welt abrupt wieder stehen. Wumms! Ella und Henri landen mitten in einem unbekannten Wald. Einem wahren Märchenwald. Die Blätter der Bäume leuchten violett. Rundherum um die knorrigen Stämme wachsen riesige blaue Pilze. Überall liegen Felsen, auf die Ella und Henri in ihrer Welt sofort geklettert wären. Doch die beiden bleiben wie angewurzelt stehen.
Zittrig flüstert Ella: „Wo sind wir?“
Henri zieht die Schultern hoch bis unter die Ohren. „Das ist nicht unser Wald. So viel steht fest.“
Es knackt. Jemand ist hier! Die beiden Kinder nehmen eine Kampfhaltung ein. Krächzende Stimmen sind zu hören.
Obwohl die Angst sie fast lähmt, ruft Ella: „Wir wissen nicht, wo wir sind. Könnt ihr uns helfen?“
Schlagartig herrscht Stille. Dann raschelt es. Drei kleine, dicke Wesen mit grüner Haut treten aus einem Busch hervor. Ihre Ohren wackeln aufmerksam. Sie scheinen noch sehr jung zu sein.
Das grüne Mädchen erklärt: „Ihr seid im Koboldwald! Ich heiße Gidi, und das sind meine zwei jüngeren Brüder Balgo und Aruk.“
Kobolde? Ella und Henri fühlen sich, als wären sie mitten in einem Märchen gelandet. Ein Glück, dass sie nicht auf ein Ungeheuer, sondern auf freundliche Koboldkinder gestoßen sind.
Erleichtert stellen sich nun auch die Kinder vor.
Aruk zupft ungeduldig an den grünen Filzhaaren seiner großen Schwester. „Ich hab‘ einen Bärenhunger!“, nörgelt er.
Gidi wendet sich an Ella und Henri: „Wollt ihr auch etwas essen? Ihr könnt mit in unsere Koboldhöhle kommen!“
Und ob! Ella und Henri haben auch Hunger wie ein Bär. Und wer würde schon eine solche Einladung ausschlagen?
Los geht’s.
Die Kinder klettern über dicke Wurzeln, waten durch seichte Bäche mit grünem Glitzerwasser und ducken sich unter die Schirme der blauen Riesenpilze.
Jetzt müssen sie nur noch einen haushohen Koboldfelsen hinunterrutschen. Mit einem lauten Hui! rutschen Balgo und Aruk voraus und plumpsen kichernd ins Moos.
„Wer von euch will als Nächstes?“, fragt Gidi. Ihre Wangen sind vor Aufregung schon ganz dunkelgrün.
Ella hüpft zur Felskante. Doch als sie sieht, wie Henri zittert, hält sie inne und fragt besorgt: „Was ist los?“
Henri flüstert: „Es ist viel zu tief!“ Er verschränkt die Arme und weicht zurück. Angstschweiß steht ihm auf der Stirn.
Ella sagt: „Du kannst das! Das weiß ich!“, und stupst ihn aufmunternd in die Seite.
Doch Henri kann nicht. Seine Mundwinkel zucken panisch.
Mitfühlend meint Gidi: „Ich hatte am Anfang auch große Angst. Deshalb bin ich als kleines Koboldkind immer zusammen mit meinem Papa gerutscht. Sollen wir einfach zu dritt rutschen?“
Henri blickt zwischen Ella und Gidi hin und her. Er zögert. Dann atmet er tief ein, löst seine Arme und nickt.
Die Mädchen nehmen Henri in ihrer Mitte an die Hand. Und schon geht es los: Die drei sausen den Koboldfelsen hinunter.
Unten angekommen, schiebt Henri seine Brille zurecht und gesteht: „Das war echt cool!“
Wenig später bleiben die Kinder vor einer Felswand mit einem niedrigen Eingang stehen. Ein Eingang passend für Kobolde, aber nicht für Menschenkinder. Henri und Ella schauen skeptisch hinein. Dort drin ist es dunkel und muffig, alles andere als einladend.
„Ich vertraue ihnen!“, sagt Henri mutig.
„Ich auch!“, entgegnet Ella.
Die beiden machen sich so klein wie möglich und krabbeln ihren neuen Freunden hinterher. Sie gelangen in einen großen, gemütlichen Wohnraum. Auf kunterbunten Teppichen sitzen die Koboldeltern an einem Lagerfeuer und machen große Augen.
Bevor Koboldmama oder Koboldpapa etwas sagen können, sagt Gidi schnell: „Das sind Ella und Henri. Sie sind von woanders hergekommen und wussten nicht, wo sie sind.“
Die Koboldmama lächelt. „Herzlich willkommen in unserer Höhle. Setzt euch, Kinder!“
Balgo zieht Ella und Henri zu sich auf einen wolligen Teppich und kuschelt sich an sie. Dankbar machen es sich die Menschenkinder gemütlich und lauschen den Worten des Koboldpapas.
„Der Koboldwald ist ein Teil von Tharros. Hier bei uns ist es friedlich. Aber vom Hexensee und vom Schloss der heulenden Gespenster solltet ihr euch besser fernhalten.“
„Schloss der heulenden Gespenster?“, wiederholt Henri ängstlich. „Mit echten Gespenstern?“
„Genau!“, bestätigt der Koboldpapa. „Dort gibt es auch riesige, haarige …“
„Genug davon!“, meint die Koboldmama bestimmt. Sie trägt einen Kessel herbei, stellt ihn in die Mitte und verteilt Holzlöffel. „Lasst euch die Pilzsuppe schmecken!“
Ella und Henri werfen vorsichtig einen Blick in den großen Topf. Ihnen wird übel. Die Suppe ist blau! Das scheint die Kobolde jedoch ganz und gar nicht zu stören. Mit freudigem Grunzen und lautem Rülpsen löffeln die Kobolde die dampfende, blaue Pilzsuppe.
Gidi schwärmt: „Alle lieben blaue Suppe!“
Ihren Ekel hinunterschluckend schlürfen Ella und Henri einen Löffel Suppe und stellen fest: Gidi hat nicht gelogen! Die blaue Pilzsuppe schmeckt ausgezeichnet.
Wenig später lehnen sich die Kinder mit vollen Bäuchen zurück. Die Koboldmama summt ein Gutenachtlied. Das Feuer knistert friedlich. Bald darauf erfüllt leises Schnarchen die Koboldhöhle. Alle fünf Kinder schlafen tief und fest.
„Wach auf!“, ruft Henri voller Panik.
„Was ist los?“ Ella reibt sich die Augen und setzt sich auf. Verwirrt guckt sie sich um. „Wo …?“
Die beiden Freunde sitzen in ihrem Tipi! Es ist immer noch früh am Vormittag. Und das Tipi sieht genauso aus, wie sie es gebaut haben. Äste, Zweige, das Schmetterlingsbild. Nichts, was auch nur im Entferntesten an eine Höhle oder gar eine Koboldhöhle erinnert.
Ella schnappt nach Luft.
Mit brüchiger Stimme sagt Henri: „Haben wir das alles nur geträumt?“
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