
Kapitel 1: Die geheimnisvolle Schulnacht
Darum geht's
Kurz vor Halloween dürfen Ben, Lola, Kim und Tom in der Schule übernachten. Es scheint eine ruhige Nacht zu werden – bis Max, ein älterer Schüler, ihnen von „Frau Flüster“ erzählt, der geheimnisvollen Bibliothekarin, die nachts durch die Schule geistern soll. Die vier Freunde sind fest entschlossen, sich in dieser Nacht zur Bibliothek zu schleichen …
Die Herbstferien waren vorbei, und in der kleinen Stadt war es plötzlich kalt und windig geworden. Bunte Blätter wirbelten durch die Straßen, und die Häuser waren schon mit Kürbissen, Spinnweben und leuchtenden Lichtern geschmückt. Für Ben, Lola, Kim und Tom war der Oktober immer die aufregendste Zeit des Jahres. Denn bald war Halloween – und dieses Jahr sollte etwas Besonderes passieren: Ihre Klasse würde an diesem Wochenende in der Schule übernachten. Und am Freitag danach war auch schon die große Halloween-Party der ganzen Schule.
Ben, ein schlaksiger Junge mit frechen braunen Haaren, konnte in der letzten Stunde kaum noch stillsitzen. Immer wieder trommelte er mit den Fingern auf den Tisch, während er versuchte, sich auf den Matheunterricht zu konzentrieren. Doch in seinem Kopf tanzten ganz andere Gedanken: Kürbisse, gruselige Geschichten, leuchtende Augen in der Dunkelheit – und die Aussicht, die ganze Schule nachts zu erkunden.
Neben ihm saß Lola, seine beste Freundin. Sie war ein bisschen kleiner als Ben, hatte lange, dunkelbraune Zöpfe und die neugierigsten Augen der Welt. Lola war klug, mutig und immer für ein Abenteuer zu haben, auch wenn ihr manchmal ein kleiner Schauer über den Rücken lief.
„Ben, hörst du mir überhaupt zu?“, fragte sie, als der Lehrer etwas über Brüche erklärte.
„Hm? Oh, ja, klar … Brüche … mmh …“, stotterte Ben und grinste verschmitzt.
Lola schüttelte den Kopf. „Du denkst schon wieder an Halloween, oder?“
„Natürlich!“, flüsterte er leise. „Und daran, was wir alles nachts in der Schule entdecken könnten.“
Kim, die ruhigste von allen vier, saß einen Platz weiter hinten. Sie hatte kurzes blondes Haar und eine Vorliebe für Bücher. Ihre Augen funkelten hinter der Brille, als sie das Gespräch hörte. „Ihr zwei seid unmöglich“, murmelte sie, aber ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie freute sich heimlich genau so sehr wie Ben und Lola auf die Übernachtung.
Tom, der letzte im Bunde, war ein bisschen größer und kräftiger gebaut. Er liebte alles, was mit Technik und Abenteuern zu tun hatte, und auch er hatte bereits einen Plan geschmiedet, wie sie nachts die Schule erkunden könnten – falls sie überhaupt erlaubt bekommen würden, sich umzusehen.
Am Samstagmittag war die Aufregung kaum zu bändigen. Im Klassenzimmer lagen Taschenlampen, Schlafsäcke, Kissen und sogar kleine Snacks bereit. Die Lehrerin, Frau Meyer, hatte alles sorgfältig vorbereitet. Jeder konnte die Sachen vom Sitzplatz im Klassenzimmer mitnehmen und die Schüler durften ihre Schlafplätze in der Turnhalle einrichten.
Ben, Lola, Kim und Tom entschieden sich, ihre Schlafsäcke nebeneinander zu legen. „So können wir sofort zusammen losziehen, wenn etwas Spannendes passiert“, flüsterte Ben.
„Oder wenn jemand Angst bekommt“, fügte Lola hinzu. „Dann können wir uns beschützen.“
„Oder wir sehen einen echten Geist“, murmelte Tom geheimnisvoll.
Kim seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich hoffe, dass wir niemanden sehen, der uns erschreckt.“
Doch tief in ihrem Inneren freuten sich alle vier auf das Gruseln. Sie liebten den Nervenkitzel, die kleinen Schauer, die durch den Rücken liefen, wenn das Licht flackerte oder ein Geräusch aus der Dunkelheit kam.
Die Turnhalle war jetzt schon für die Halloween-Party am nächsten Freitag vorbereitet worden. Das bedeutet zwar, dass nächste Woche Sport ausfiel, aber das war es wert. Denn in diesem Jahr war die Turnhalle besonders festlich geschmückt. Überall hingen künstliche Spinnweben, orangefarbene Kürbisse und schwarze Fledermäuse. Auf einem langen Tisch standen Snacks: Kekse in Kürbisform, Schokoladenäpfel und kleine Muffins mit gruseligen Gesichtern aus Zuckerguss. Ein kleiner Nebel aus Trockeneis zog über den Boden, und die Kinder fühlten sich wie in einem geheimen Geisterhaus.
„Wow!“, rief Ben, als er die Turnhalle betrat. „Das sieht richtig gruselig aus!“
„Gruselig?“, lachte Lola. „Eher schön unheimlich. Aber ein bisschen spannend ist es auch.“
Kim studierte die Dekoration und bemerkte jedes Detail. „Seht ihr die alten Kerzenständer auf den Fenstern? Die passen perfekt zur Stimmung.“
Tom grinste. „Und wenn es dunkel wird, wird es noch besser. Dann können wir unsere Taschenlampen benutzen.“
Die Kinder halfen sich gegenseitig, die letzten Vorbereitungen zu treffen, ihre Schlafplätze einzurichten und sich kleine Kissenburgen zu bauen, hinter denen man sich verstecken und später einkuscheln konnte. Alles war bereit für eine schaurige, lange Nacht.
Am Abend kam Max, ein älterer Schüler, vom Gymnasium nebenan als Klassenbegleiter. Er war für die Kinder ein bisschen wie ein Held – oder ein gruseliger Mentor. Max hatte schon viele Übernachtungen in der Schule miterlebt und konnte Geschichten erzählen, bei denen einem das Blut in den Adern gefror.
„Seid ihr bereit für die Nacht?“, fragte Max mit einem geheimnisvollen Lächeln.
„Ja!“, riefen Ben, Lola, Kim und Tom gleichzeitig.
Max setzte sich auf einen kleinen Hocker in der Mitte der Turnhalle. „Dann hört gut zu. Ich habe eine Geschichte, die ihr nie vergessen werdet.“
Die Kinder rückten näher zusammen, und Max begann zu erzählen. Er sprach leise, aber eindringlich und hielt dabei eine Taschenlampe, die sein Gesicht von unten anstrahlte und lange Schatten an die Wände warf. Er erzählte über die Schule, die alt war und viele Geheimnisse hütete. Und dann über Frau Flüster, eine alte Bibliothekarin, die angeblich nachts durch die Bibliothek wanderte und Geschichten flüsterte. Über Bücher, die von selbst zu blättern schienen und unschuldige Seelen in die Geschichten zog.
Ben zog die Decke enger um sich, und Lola konnte nicht anders, als sich leicht zu erschrecken. Kim hörte gebannt zu, während Tom bereits überlegte, wie sie vielleicht selbst einmal Frau Flüster entdecken könnten.
„Man sagt“, flüsterte Max, „dass Frau Flüster eines Tages plötzlich zwischen den Bücherregalen verschwand und nie wieder gesehen wurde. Sie hatte zu viel über die Geheimnisse der alten Bücher herausgefunden und wurde in eine Geschichte gezogen. Wie vom Erdboden verschluckt. Doch manchmal ist sie noch in der Bibliothek, wenn niemand hinsieht, kommt sie aus ihrem Buch. Dann schwebt sie durch die Regale und flüstert Geschichten, die man sonst nirgendwo hört. Wer sich nachts dort aufhält und zu lange dem Flüstern lauscht, dessen Seele wird in die Geschichte gezogen …“
Als Max den Satz beendet hatte, flackerte plötzlich eine Deckenleuchte. Ein kalter Schauer lief allen vier über den Rücken. Die Lichter waren eigentlich ausgeschaltet und die Turnhalle war dunkel geworden, nur das flackernde Licht einiger Kerzen erhellte die Gesichter. Für einen Moment schien alles still zu stehen – und die Kinder konnten sich vorstellen, dass zwischen den alten Bücherregalen wirklich eine geheimnisvolle Gestalt schwebte.
Nach der Geschichte schaltete Max seine Taschenlampe aus und schaltete das Licht der flackernden LED-Kerzen aus. Die Kinder machten es sich in ihren Schlafsäcken bequem. Doch Ben konnte nicht einschlafen. Immer wieder dachte er an Frau Flüster, die durch die Bibliothek schwebte, an die geheimnisvollen Bücher und an das Rascheln von Papier in der Dunkelheit.
„Ich wette, wir könnten sie sehen, wenn wir aufstehen“, murmelte er zu sich selbst.
„Ben!“, flüsterte Lola, die seine Gedanken erraten hatte. „Nicht jetzt. Wir sollen schlafen.“
„Aber nur ein bisschen gucken“, flüsterte Ben zurück. „Ich verspreche, wir bleiben zusammen.“
Kim verdrehte die Augen, und Tom grinste. „Immer dieser Drang, Abenteuer zu erleben. Ich bin dabei – wenn ihr beide nicht zurückweicht.“
Und so beschlossen sie, dass sie in der Nacht aufstehen würden, wenn alle anderen schliefen. Nur ein kleines Abenteuer, nur ein bisschen Grusel. Niemand würde sie sehen.
Alle Kinder kuschelten sich in ihre Schlafsäcke, und langsam wurde die Turnhalle still. Draußen heulte der Wind durch die Bäume, und der Mond schien durch die hohen Fenster. Alles wirkte geheimnisvoll, aber auch ein bisschen aufregend.
Ben stellte sich vor, wie die Regale der Bibliothek in der Dunkelheit aufleuchteten, wie Frau Flüster durch die Gänge schwebte und Geschichten flüsterte, die nur die Mutigsten hören konnten.
Lola spürte ebenfalls ein Kribbeln im Bauch. Ein bisschen Angst – und ein bisschen Freude. Kim lauschte den Geräuschen der Nacht, während Tom sich schon ausmalte, wie sie das Abenteuer der Bibliothek bald erleben würden.
Ein leises Klappern ließ Ben zusammenzucken. Es kam aus Richtung Flur.
„Psst … hört ihr das?“, flüsterte er.
Lola drückte sich näher an ihn. „Nur der Wind“, murmelte sie. Aber in ihrem Inneren wusste sie, dass es vielleicht mehr war.
Das war der Moment, in dem die Kinder merkten: Diese Nacht würde nicht so ruhig sein wie andere Nächte. Etwas Geheimnisvolles lag in der Luft. Etwas, das auf sie wartete.
Max hatte ihnen die Gruselgeschichte erzählt – doch jetzt fühlte sie sich mehr und mehr lebendig an.
Die Abenteuer-Grusel-Nacht hatte begonnen – und für Ben, Lola, Kim und Tom würde sie unvergesslich werden.
