Die Legenden der Sterne

🎯 ab 8 Jahren

🕔 ca. 5 Minuten

📚 zum Kinderbuch “Der Fluch aus der Flasche”

„Sieh nur, eine Sternschnuppe!“ Aufgeregt hüpft Taio auf und ab und zeigt mit seinem Finger in den Himmel hinauf.

„Jetzt darfst du dir etwas wünschen“, erklärt Taios Vater und lächelt.

„Dann wünsche ich mir …“

„Halt!“, unterbricht der Seemann seinen Sohn hastig. „Du darfst deinen Wunsch nicht verraten, sonst geht er nicht in Erfüllung.“

„Ach wirklich? Da hab‘ ich ja nochmal Glück gehabt“, stellt der Junge fest und lacht erfreut. Er setzt sich zu seinem Vater, der das Steuerrad seines Handelsschiffes fest in den Händen hält. Gemeinsam schauen sie in den Sternenhimmel.

„Woher weißt du, wohin du steuern musst?“, fragt Taio interessiert.

„Die Sterne weisen mir die Richtung. Sie sind für uns Seefahrer unsagbar wichtig, denn sie zeigen uns nicht nur den Weg, sondern geben uns Orientierung in allen Lebenslagen.“

„Wie meinst du das?“

„Der Nachthimmel steckt voller Geheimnissen. Die Sterne erzählen uns nicht nur aufregende Geschichten, sie lehren uns auch Tugenden wie Mut, Dankbarkeit, Gerechtigkeit aber auch Liebe und Freundschaft. Wer all ihre Geschichten kennt, wird grenzenlose Weisheit und innere Zufriedenheit erlangen.“

„Dann musst du mir alle Geschichten erzählen“, ruft Taio begeistert.

„Ich kenne auch nicht alle. Ich glaube, es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, der sie alle kennt.“

„Dann werde ich der Erste sein!“

Der Kapitän lacht laut auf. „Du kannst es versuchen.“

„Das werde ich. Erzähl mir eine Geschichte.“

„Welche möchtest du denn hören?“

„Die spannendste von allen“, antwortet Taio und schaut seinen Vater gespannt an.

„Also gut. Hast du schon einmal von Orion gehört?“, fragt der Seemann.

„Nein. Was ist Orion?“

„Orion war ein stolzer, aber auch übermütiger Jäger. Es gibt verschiedene Legenden über ihn. Eine besagt, dass er alle wilden Tiere dieser Erde töten wollte.“

„Wie gemein!“, ruft Taio empört.

„Das sah die Erdgöttin ganz genauso. Um die Tiere zu beschützen, erschuf sie einen Skorpion, der Orion jagte. Beide, Orion und der Skorpion, sind noch heute am Nachthimmel zu sehen, aber nur selten zur gleichen Zeit. Siehst du diese Sternengruppe?“, fragt der Kapitän und zeigt in den Himmel hinauf.

„Meinst du diese dort?“, fragt Taio zweifelnd. „Die sieht aus, als würde ein Mensch einen Schild halten und eine Keule schwingen.“

„Ganz genau. Das ist Orion.“

„Sind das viele helle Sterne“, staunt der Junge.

„Du hast recht“, stimmt sein Vater zu. „Dadurch ist dieses Sternbild ganz leicht zu entdecken.“

„Aha! Und was ist das für ein Sternbild?“ Der Junge zeigt auf eine benachbarte Sternengruppe.

„Das ist der große Hund“, erklärt sein Vater. „Man sagt, er begleite Orion bei der Jagd. Es gibt auch noch einen kleinen Hund, aber den zeige ich dir morgen. Nun ist es Zeit zu schlafen.“

„Jetzt schon?“, protestiert Taio leise, doch er merkt selbst, wie seine Augen zufallen wollen. Der Kapitän nimmt seinen Sohn noch einmal fest in den Arm. Dann geht der Junge zu einer alten Truhe, schnappt sich eine Decke und sucht sich ein ruhiges Plätzchen an Deck des Schiffes. Unter dem schützenden Sternenzelt schläft er ein und träumt von mutigen Helden und mächtigen Göttern.

 Von nun an bittet Taio seinen Vater jeden Abend, ihm mehr Geschichten über die Sterne zu erzählen. Er möchte sie alle hören. So erfährt er von Andromeda, der schönen Tochter des Königs von Äthiopien, die von dem mutigen Helden Perseus vor einem gefährlichen Ungeheuer gerettet wurde.

Sein Vater erzählt ihm von Pegasus, dem geflügelten Pferd, das zahlreiche Helden und Götter auf seinem Rücken trug. Weil es so treu war, wurde es vom Göttervater Zeus in den Himmel erhoben, wo man es noch heute als Sternbild bewundern kann.

Abend für Abend lauscht Taio den spannenden Legenden über Götter, Helden und Ungeheuer. Schon bald kann er die meisten Sternbilder am Nachthimmel erkennen und sich anhand der Sterne orientieren. Doch sein Durst nach neuen Geschichten bleibt unstillbar. Auf ihren Reisen rund um die Welt lernen Vater und Sohn immer neue Mythen und Legenden kennen.

Taio ist sich sicher: „Irgendwann werde ich grenzenlose Weisheit und innere Zufriedenheit erlangen. Und alles, was ich dafür wissen muss, lerne ich von meinem Vater und der See.“ Mit dieser Überzeugung und dem Blick in den Sternenhimmel gerichtet schläft er jeden Abend mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen ein.