Graf Quakulas Einschlafgeschichte
8-12 Jahre | ca. 10 Minuten | Britt Ălling
Darum geht's
Quaklina möchte unbedingt ihre Lieblingsgeschichte von Opa Quakula hören, bei der es um die Vergangenheit der Familie geht. Leider verplappert sich der Opa und Quaklina wird ganz neugierig, wie die Geschichte wirklich abgelaufen ist…
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âOpa, erzĂ€hlst du mir die Geschichte von Schloss Quakula?â Quaklinas groĂe KuÌkenaugen glĂ€nzten. Das kleine EntenmĂ€dchen lag eingerollt in ihrem Kinderbett. Erwartungsvoll sah sie ihren GroĂvater an.
Der alte Entengraf musste lĂ€cheln. Seiner suÌĂen Enkelin konnte Graf Quakula kaum einen Wunsch abschlagen. âDie ist doch viel zu spannend, so kurz vor dem Einschlafen! Du wirst AlbtrĂ€ume bekommenâ, wiegelte er immer noch lĂ€chelnd ab. Dabei strich er ihr zĂ€rtlich mit der FluÌgelhand uÌber das kleine Köpfchen.
âAch, bitte! Es ist meine Lieblingsgeschichte!â Quaklina lieĂ nicht locker. Sie wusste genau, wie sie ihren Opa einwickeln konnte.
âAlso gutâ, gab Quakula nach. Er erzĂ€hlte sowieso nie die echte Geschichte. Das, was wirklich passiert war, als er und seine Töchter den Stammsitz der Familie uÌberstuÌrzt verlassen hatten. Es war so knapp gewesen, dass ein BuÌschel seiner Federn dabei draufgegangen war. Doch er hatte es den Wölfen am Ende heimgezahlt! Das Wolfsrudel hatte das Spiel verloren. Und seine trostlose Heimat, das alte Schloss, vermisste Quakula bis heute nicht. Lieber ein gluÌcklicher Graf ohne Stammsitz, als ein Gefangener der Vergangenheit, dachte er zufrieden. Dann rĂ€usperte er sich umstĂ€ndlich.
âWir lebten damals auf Schloss Quakulaâ, begann er mit leiser Stimme. âDas liegt weit, weit entfernt von hier. In einer wilden Gegend mit tiefen WĂ€ldern und Schluchten.â
Quaklina grunzte behaglich und drehte sich in ihrem KuÌkenbett auf die Seite. âUnd es gab dort Wölfeâ, quakte sie vorwitzig. Sie wollte sofort zum spannenden Teil der Geschichte.
âJa, es gab ein Rudel alter Wölfeâ, fuhr Quakula mit ergebenem Seufzen fort. Dieses KuÌken war so stur wie seine Mutter! NatuÌrlich musste sie die Geschichte gleich zu den Wölfen lenken. Dabei hĂ€tte er so gerne von der groĂen Bibliothek oder der gemuÌtlichen SchlosskuÌche erzĂ€hlt. Nun gut, machen wir eben hier weiter, dachte er. âSo war das Schloss, das uns seit vielen Generationen gehörte, gleichzeitig auch ein GefĂ€ngnis. Denn die Wölfe umkreisten es stĂ€ndig. Und drauĂen lag nur der tiefe Wald. Kein schöner Platz fuÌr Enten!â, betonte er. âUnsere Familie war uÌber die Jahrhunderte hinweg fast ausgestorben. Seltsame Krankheiten hatten die unsrigen heimgesucht. So gab es am Ende nur noch mich, deine Mutter und ihre drei Schwestern.â
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âUnd Mama konnte damals nicht fliegenâ, rief Quaklina laut dazwischen. Aufgeregt kaute sie auf ihrem Unterschnabel herum. âMeinst du, ich werde morgen endlich fliegen lernen?â
âFliegen lernt man nicht an einem Tag. Aber jedes KuÌken kann esâ, beruhigte Quakula die Kleine. âDeine Mama war freilich ein besonders schwerer Fallâ, schob der Graf hinterher. Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. âQuaklotte war stur und faul.â Quakulas Stimme hob sich erregt. Es machte ihn nach all den Jahren noch wuÌtend, wenn er daran dachte, wie wenig MuÌhe seine Tochter sich gegeben hatte. Doch er wollte ihr auch nicht unrecht tun. Schon gar nicht vor ihrem Kind. âDeine Mama war eigentlich zu alt, um mit dem Fliegen anzufangenâ, schob er deswegen versöhnlich nach. âFast doppelt so alt, wie du jetzt bist. Wenn wir nicht hĂ€tten fliehen muÌssen, wĂ€re sie nie eine Flugente geworden.â Mist! Nun hatte er sich verplappert.
âIhr musstet fliehen?â Quaklina setzte sich uÌberrascht auf. âSo hast du es noch nie erzĂ€hlt!â Ein neugieriges Funkeln blitzte in den Augen des KuÌkens. Sie sah gar nicht mehr muÌde aus.
Ich Esel von einem Erpel, dachte Quakula. Jetzt wird sie die halbe Nacht nicht schlafen vor Aufregung. Und morgen ist sie zu erschöpft fuÌr den Flatterkurs. Seufzend setzte er sich auf dem Bett zurecht. Irgendwie musste er die Kuh vom Eis bekommen.
âWarum musstet ihr fliehen, ich dachte immer, ihr wolltet eines Tages weg, weil es zu einsam warâ, hakte Quaklina auch schon nach.
âDie Wölfe hatten einen Weg gefunden, um ins Schloss einzudringen. Wir hatten nur wenig Zeit, um aufzubrechenâ, gab Quakula dem DrĂ€ngen seiner Enkelin nach und ruÌckte endlich mit der Wahrheit heraus. âIch wollte damals schon lange ein neues Heim fuÌr uns alle finden. Aber es war so gemuÌtlich im Schloss und es fehlte uns an nichts. Bis ich eines Tages hörte, wie die Wölfe am Schlosstor herum nagten. Da wurde mir klar, dass sie kommen und nach uns suchen wuÌrden. Also mussten wir aus Schloss Quakula weg, und zwar schnell.â Dass die Wölfe schon in das Anwesen eingedrungen waren, wuÌrde er aber auf keinen Fall erzĂ€hlen!
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âDas klingt gruselig. Hast du die Wölfe auch gesehen?â, fragte Quaklina weiter.
âNicht aus der NĂ€heâ, log Quakula. Eine SchweiĂperle bildete sich auf seiner Stirn. âNur von der obersten Zinne des Schlossturms.â Das war nicht ganz gelogen. TatsĂ€chlich hatte er die Wölfe oft von oben beobachtet.
âUnd Mama wollte ihre FluguÌbungen immer noch nicht machen, gell?â
âNein, sie tat nur so. Als ich das entdeckte, war ich ziemlich wuÌtend auf sie. Zum Schluss wurde es etwas knapp und wir mussten auf ihren Flugreflex vertrauen.â
âWas ist denn ein Flugreflex?â, fragte Quaklina mit groĂen Augen.
Oh nein! Wieder hatte Quakula sich verplappert. Jetzt saĂ er in der Tinte und musste sicher gleich erklĂ€ren, wie es so weit hatte kommen können. RĂ€uspernd antwortete er: âAlle flugfĂ€higen Vögel fliegen ganz wie von selbst, wenn sie â Ă€h – fallen.â Keinesfalls wuÌrde er jetzt verraten, dass er seine Tochter Quaklotte von der Burgzinne hatte schubsen muÌssen. Denn das Wolfsmaul hĂ€tte sonst in ihren wohlgenĂ€hrten Hintern geschnappt. Trotzdem hatte Quaklotte nur ein hilfloses Flattern zustande gebracht.
âWieso ist Mama denn gefallen?â, kam auch gleich die nĂ€chste Frage aus Quaklinas Schnabel.
NatuÌrlich fragt sie weiter, Ă€rgerte sich Quakula immer noch uÌber sich selbst. Seine Enkelin war ja nicht blöd. âNun, Ă€h, wirâ, stotterte der Entengraf. Nach einer kurzen Denkpause lĂ€chelte er erleichtert. âDie Wölfe waren schon recht weit damit, das Schlosstor zu zerstörenâ, fuhr er fort. âSo lieĂ ich deine Mutter vom Stalldach springen. Auf diese Weise sollte sie den Flugreflex spuÌren und von selbst losflattern.â
âSchlĂ€fst du immer noch nicht!â Die mahnende Stimme von Quaklinas Mutter tönte laut aus dem Nachbarzimmer. Einen Moment spĂ€ter stand sie auch schon im TuÌrrahmen des KuÌkenzimmers. âUnd du erzĂ€hlst wieder alte Schauergeschichten Paps!â Sie schuÌttelte den Kopf und sah Quakula streng an.
âNein, neinâ, log der Entengraf an diesem Abend nun schon zum wiederholten Mal. Das war eigentlich nicht seine Art. Es ist nie in Ordnung zu luÌgen, predigte er immer. Doch heute ging es nicht anders. Quaklina musste schlafen, sonst war sie morgen zu muÌde fuÌr die erste Flugstunde. âIch habe nur erzĂ€hlt, wie du damals im alten Schloss vom Stalldach springen musstest. Und dann endlich dein Flugreflex eingesetzt hat.â Beschwörend sah Quakula seine Tochter an. Hoffentlich verstand sie, dass er die Geschichte abgewandelt hatte.
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âJa, das stimmtâ, lachte Quaklotte sĂ€uerlich. Nein! Das stimmte gar nicht, dachte sie dabei. Mein Flugreflex wurde nicht am Stalldach, sondern an der Burgzinne getestet. Und von dort bis zum Ende der darunter gelegenen Schlucht ging es bestimmt hundert Meter hinab. AuĂerdem ist der Flugreflex eine LuÌge. Bei dem Sturz hĂ€tte ich mir fast den Hals gebrochen. Sie seufzte. Aber besser als im Maul der Wölfe zu landen, dachte sie dann. âAnschlieĂend ging es ganz schnellâ, quakte sie laut. Sie musste die Geschichte kurz halten. Quaklina brauchte ihren Schlaf. SchlieĂlich hatte sie morgen ihren groĂen Tag. âDa ich nun endlich fliegen konnte, brachen wir sofort aufâ, erzĂ€hlte sie weiter. âIn der Luft konnten uns die Wölfe nicht verfolgen. Noch am selben Abend haben wir bereits im Dorf uÌbernachtet. Und dann kam die lange Reise bis an den Schnattersee zu unserer lieben Tante Quaklinde. Aber die erzĂ€hlen wir ein anderes Malâ, schloss sie ihre Geschichte. âMorgen wirst du fliegen lernen. Das ist ein groĂer Tag, also ruh dich schön aus.â
âJa, Quaklotte hat rechtâ, schaltete sich Quakula schnell ein. âDu wirst es groĂartig machen, das weiĂ ich jetzt schon. SchlieĂlich ist deine Mama heute sogar Kunstfliegerin. Die Begabung liegt also in der Familieâ, lĂ€chelte er und strich Quaklina noch einmal uÌber die Kopffedern. Sie wird bestimmt eine gute Fliegerin, dachte er dabei stolz. Da war er sich ganz sicher. Quaklina war ehrgeizig und genau im richtigen Alter, um Fliegen zu lernen.
âGute Nacht, mein Schatzâ, fluÌsterte Quaklotte. Dann gab sie ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn und löschte die Nachttischlampe. Sanft zog sie ihren Vater weg vom Bett der Kleinen und schloss die TuÌr.
âIch muss losâ, raunte Quakula ihr im Flur zu. âEine Ente ist in Not.â
DrauĂen war es bereits dunkel. Die Nacht war die Zeit des Grafen Quakula. Denn er fuÌhrte ein Doppelleben.
âAlter WohltĂ€terâ, grinste Quaklotte und knuffte ihren Papa in die Seite. âAber wir erzĂ€hlen Quaklina vorerst nicht, was damals wirklich passiert ist. Und wie knapp es war! Versprochen?â PruÌfend sah sie ihren Vater an und kniff dabei ein Auge leicht zu.
âNein! Auf keinen Fallâ, versicherte der Entengraf. âSie soll erst mal erfahren, dass Fliegen etwas Wunderbares ist. Und dass jede Ente fliegen kann. AuĂerdem taugt das alles nicht zur Gutenachtgeschichte.â
âDann sind wir uns ja einigâ, quakte Quaklotte streng. âUnd jetzt geh die Welt retten, Papa. SchlieĂlich bist du nicht umsonst der SchuÌtzer der Entenâ, fuÌgte sie lachend hinzu und reichte ihrem Vater seinen magischen Umhang.
âJa, es gibt immer viel zu tunâ, grinste er schelmisch. Dann schluÌpfte er in das alte KleidungsstuÌck. Sein Umriss flackerte kurz und gleich darauf war er verschwunden. Der Umhang machte ihn unsichtbar.
DrauĂen warten Enten in Not auf mich, dachte er fröhlich. Was gab es Schöneres, als andere zu retten und ihnen beizustehen. Ohne die Flucht aus dem Schloss hĂ€tte er den alten Umhang nie gefunden. Pfeifend flog er durch die TuÌr. Auf zu neuen Abenteuern.
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Rezensionen zu dieser Geschichte
Leserbewertungen
Ich liebe Grad Quakula
Tolle Geschichte und der Name Graf Quakula groĂartig gewĂ€hlt, ich liebs! đâ€ïž
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