Hänsel & Gretel, neu erzählt

Ab 6 Jahre | Ca. 12 Minuten | Hans-Georg Renner

Darum geht's

Hänsel & Gretel, neu und kindgerecht erzählt.

“Hänsel und Gretel” ist ein deutsches Märchen der Gebrüder Grimm, in dem Geschwister von ihren Eltern im Wald ausgesetzt werden und auf ein Hexenhaus stoßen. Sie überlisten die Hexe und finden ihren Weg zurück nach Hause. 

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Hänsel & Gretel, neu erzählt | Seite 1/3

Es war einmal vor langer Zeit …

da gab es noch keine Städte und die Menschen lebten in kleinen Dörfern oder in einem einfachen Haus am Waldrand. So lebten auch die Geschwister Hänsel und Gretel am Waldrand, denn ihr Vater war Holzhacker.

Die Familie hatte oft nicht viel zu essen, weil sie jeden Monat das meiste Geld an den König und seine Fürsten zahlen musste. Der König und seine Fürsten sammelten immer mehr Geld von ihren Untertanen ein, behielten es aber für sich allein, und deshalb waren alle anderen Familien sehr arm.

Die Eltern in den Dörfern und Häusern machten sich viele Gedanken, wie sie ihren Kindern auch ohne Geld Geschenke oder schöne Erlebnisse ermöglichen konnten. Hänsel, Gretel und ihre Eltern gingen abends gerne zusammen spazieren und schauten sich dabei die Sternbilder am Himmel an. Die Kinder liebten diese gemeinsamen Abendspaziergänge.

Eines Tages hatten die Eltern die Idee, mit ihren Kindern einmal eine spannende Nachtwanderung zu machen und als großes Abenteuer sollten die Kinder den Weg nach Hause alleine finden, wenn sie wollten.

Die Eltern kannten den Wald und die Natur sehr gut und bereiteten abends, wenn die Kinder schliefen, alles für die Wanderung vor. Sie malten eine Karte für die Wanderung und eine Karte mit den Sternbildern. Da sie kein Papier und keine Stifte hatten, benutzten sie große Rindenstücke zum Malen und gewannen die Farben aus Blüten, die sie zerdrückten und auspressten. Mit einem dünnen Stück Holz bemalten sie dann die Rindenstücke.

An einem schönen Frühlingstag war es dann so weit. Vater und Mutter setzten sich mit den Kindern zusammen und erzählten ihnen von ihrem Vorhaben. Die Eltern wollten zu der großen Eiche im Wald gehen, dort Holz sammeln und dann in der Dunkelheit zurückkehren.

Hänsel und Gretel sollten zusammen zur großen Lichtung im Wald gehen. Da sie sich noch nicht so gut auskannten, bekamen sie eine Wanderkarte. Wenn sie auf der Lichtung ankommen, wäre es bestimmt schon dunkel und für den Rückweg hätten sie eine Sternenkarte, damit sie sich orientieren können.

Wenn alle wieder zu Hause sind, würde ein Feuer gemacht, über die abenteuerliche Wanderung gesprochen und Stockbrot gegessen.

Hänsel und Gretel fanden die Abenteuer, die sich ihre Eltern ausgedacht hatten, sehr spannend. Sie freuten sich auf das Abenteuer, waren aber auch sehr aufgeregt und ein bisschen ängstlich.

Da kamen sie auf die Idee, vorsichtshalber helle Kieselsteine mitzunehmen.
Diese wollten sie auf dem Weg in den Wald immer wieder fallen lassen, um den Rückweg zu finden, falls sie sich nicht so gut an der Sternenkarte orientieren konnten.

Den Eltern gefiel die Idee und so sammelten alle noch ein paar helle Kieselsteine und machten sich auf den Weg. Kurz nachdem sie im Wald angekommen waren, teilte sich der Weg. Die Eltern gingen zur Eiche und die Kinder zur Lichtung.

Unterwegs ließen Hänsel und Gretel immer wieder ein Steinchen fallen. Als sie auf der Lichtung ankamen, wurde es langsam dunkel und sie schauten auf die Sternenkarte ihrer Eltern. Dort war natürlich der Nordstern eingezeichnet und auch das Sternbild Kassiopeia, das direkt über ihrem Haus am Himmel steht.

Hänsel und Gretel schauten sich die Karte genau an und machten sich dann auf den Heimweg. Anfangs konnten sie sich gut orientieren und die hellen Kieselsteine, die sie immer wieder sahen, gaben ihnen ein sicheres Gefühl. Doch im Laufe des Weges wurde es immer dunkler und es fiel den beiden schwer, sich nur anhand der Karte zu orientieren. Da waren sie froh, dass sie den hellen Kieselsteinen folgen konnten, die sie ausgelegt hatten.

Hänsel & Gretel, neu erzählt | Seite 2/3

Wieder zu Hause angekommen, hatten die Eltern mit dem gesammelten Holz schon ein wärmendes Feuer entfacht. Alle setzten sich ans Feuer und aßen das Stockbrot. Hänsel und Gretel erzählten, wie sie den Heimweg gefunden hatten. Den beiden Kindern hatte die Abenteuerwanderung gefallen und sie wünschten sich, dass die Eltern bald wieder eine solche Wanderung für sie vorbereiten.

So saßen die Eltern nach einem harten Arbeitstag abends in der Stube und arbeiteten eine neue Wanderung aus und malten wieder eine schöne Karte dazu. Diesmal sollten die Kinder den Weg vom Wald im Norden zurückfinden.

Nach einigen Wochen kam endlich der Tag, an dem die Familie wieder etwas Zeit hatte, und alle machten sich auf den Weg. Die Kinder hatten in einem Beutel etwas Brot dabei, falls sie unterwegs Hunger bekommen sollten. Die Eltern nahmen kein Brot mit, weil sie nicht genug für alle hatten.

Hänsel und Gretel gingen hinter ihren Eltern in den Wald und nach den ersten Schritten fiel ihnen auf, dass sie diesmal keine Kieselsteine dabei hatten. Aber um den Weg zurück zu finden, auch wenn sie die Karte nicht gut lesen konnten, beschlossen Hänsel und Gretel schweren Herzens, immer wieder ein paar Brotkrümel auf den Weg zu streuen. Das war das Einzige, was sie bei sich hatten, und das konnte ihnen im Notfall den Weg nach Hause weisen.

Am Ziel angekommen, brach der Abend herein. Die Eltern machten auf einer Lichtung ein kleines Feuer, damit Hänsel und Gretel erst einmal ausruhen konnten.

Als es dunkel wurde, gaben die Eltern Hänsel und Gretel die neue Karte und drückten die Kinder ganz fest. Die Eltern wünschten den beiden eine schöne Nachtwanderung. Dann machten sie sich auf den Weg, damit ihre Kinder das nächste Abenteuer erleben konnten.

Nun geschah es aber, dass die kleinen Vögel im Wald die Brotkrumen entdeckten und sie hungrig aufpickten. Nun gab es keine Brotkrumen mehr im Wald.

Als der Vollmond über den Wald schien, nahmen Hänsel und Gretel die Karte und machten sich aufgeregt auf den Rückweg. Doch diesmal konnten sie die Karte nicht so gut lesen und fanden leider auch den Anfang des Rückweges nicht.

Hänsel und Gretel machten sich Sorgen und beschlossen, nach den Brotkrumen zu suchen. Sie suchten und suchten, aber sie fanden keine Brotkrumen und ihnen wurde klar, dass wahrscheinlich die Vögel die Brotkrumen gefressen und sich über diese Mahlzeit gefreut hatten. Jetzt hatten sie natürlich Angst, dass sie über Nacht im Wald bleiben mussten und erst am nächsten Tag bei Tageslicht nach Hause finden würden.

Und während sie zusammen am Feuer saßen, flog immer ein schneeweißes kleines Vöglein um sie herum. So ein Vögelchen hatten sie noch nie gesehen. Schließlich setzte es sich zu ihnen und sang sehr schön. Dann schwang es seine Flügel und flog davon. Hänsel und Gretel folgten dem kleinen Vögelchen und kamen bald zu einem seltsamen Häuschen. Als sie näher kamen, sahen sie, dass das Haus aus Brot gebaut und mit Kuchen gedeckt war, und die Fenster waren aus hellem Zucker, ganz wie im Märchen.

Da Hänsel und Gretel nun sehr hungrig waren, brachen sie ein kleines Stück vom Dach ab und knusperten daran. Da rief eine feine Stimme aus der Stube

„knusper, knusper, kneischen, wer knuspert an meinem Häuschen?“

die Kinder antworteten

„der Wind, der Wind, das himmlische Kind,“

und die Kinder aßen weiter. Plötzlich ging die Tür auf und eine steinalte Frau, die sich auf eine Krücke stützte, kam heraus. Hänsel und Gretel ließen vor Schreck fallen, was sie in den Händen hielten. Die Alte aber schüttelte den Kopf und sprach

„ei, ihr lieben Kinder, wer hat euch hierher gebracht? Kommt nur herein und bleibt bei mir, es geschieht euch kein Leid“

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Sie nahm beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Drinnen hatte sie gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannkuchen mit Zucker, Äpfel und Nüsse. Danach hatte sie zwei schöne Bettlein weiß gedeckt und Hänsel und Gretel legten sich nach dem leckeren Essen hinein und dachten, sie wären richtig gut aufgehoben.

Aber die Alte hatte nur so freundlich getan. Sie war in Wirklichkeit eine böse Hexe, die den Kindern auflauerte und hatte das Häuschen nur verzaubert, um die Kinder herzulocken.

Sie packte sie und Hänsel und Gretel mussten in den Keller und sollten dort den Staub und Dreck von allen Dingen abwaschen. Dort waren seltsame Hexenwerkzeuge, die die Kinder noch nie gesehen hatten. Und alles im Keller war furchtbar schmutzig und voller Staub und Dreck. Die Hexe schimpfte mit den Kindern und drohte, dass sie sie erst wieder rauslassen würde, wenn alles blitzblank geputzt sei. Dann schloss sie die Kellertür und wie aus dem Nichts tauchten vor Hänsel und Gretel allerlei Putzlappen auf, Schwämme, zwei Eimer voll Putzwasser, aber auch zwei große Kerzen, die schon brannten und ihnen ein wenig Licht spendeten.

Die beiden Kinder hatten jetzt natürlich Angst, als sie merkten, dass sie in die Falle einer Hexe geraten waren. Sie weinten bitterlich und umarmten und trösteten sich. Dann begannen sie tief ein- und auszuatmen und endlich konnten sich Hänsel und Gretel etwas beruhigen, aber natürlich waren sie immer noch sehr ängstlich. Sie schauten sich im Keller um und der war sehr groß und voll. Aber was war das? Sie spürten einen leichten Luftzug. Der Luftzug könnte bedeuten, dass irgendwo im Keller eine kleine Öffnung sein könnte. Langsam tasteten sie sich vor und kamen schließlich in die hinterste Ecke des Kellers, wo etwas Mondlicht hereinschien.

Hänsel und Gretel krabbelten zur Öffnung, und weil das Häuschen aus Brot war, konnten sie kleine Stücke herausbrechen, immer mehr, und schließlich war die Öffnung so groß, dass beide durch das Loch herauskrabbeln konnten.

Sofort liefen sie von dem Häuschen weg. Nach einer kleinen Wanderung kamen sie an ein großes Wasser, das sie noch nie gesehen hatten. „Wir können nicht hinüber,“ sprach Hänsel, „ich sehe keinen Steg und keine Brücke.“ „Hier fährt auch kein Schiffchen,“ antwortete Gretel, „aber da schwimmt eine weiße Ente, wenn ich diese bitte, so hilft sie uns hinüber.“ Da rief Gretel

„Entchen, Entchen,
hier stehen Hänsel und Gretel.
Kein Steg und keine Brücke,
nimm uns auf deinen weißen Rücken.“

Das Entlein kam tatsächlich, Hänsel setzte sich auf und bat seine kleine Schwester, sich zu ihm zu setzen. „Nein,“ antwortete Gretel, „es wird dem Entchen zu schwer, es soll uns nacheinander hinüberbringen.“ Das tat das gute Tierchen und als sie glücklich drüben waren, verschwand die Ente im Dunkeln auf dem Wasser.

Hänsel und Gretel gingen weiter, und nach einer Weile kam ihnen der Wald immer vertrauter und vertrauter vor, und endlich erblickten sie von weitem ihr Zuhause.

Da rannten sie in die Stube und fielen ihren Eltern um den Hals. Auch die Eltern freuten sich sehr, dass sie wieder zu Hause waren.

Und Hänsel und Gretel und ihre Eltern lebten noch lange in großer Zufriedenheit und Liebe zusammen. Die Familie ging noch oft auf Wanderschaft und auch auf Nachtwanderung. Aber das Häuschen fanden sie auf ihren Wanderungen nie wieder, und so nannten Hänsel und Gretel dieses Waldstück das verzauberte Hexenwäldchen.

Ende

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Hänsel & Gretel – Klassische Version zum Vorlesen 

Hänsel und Gretel - Originaltext

Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er das tägliche Brot nicht mehr schaffen. Wie er sich nun abends im Bette Gedanken machte und sich vor Sorgen herumwälzte, seufzte er und sprach zu seiner Frau: “Was soll aus uns werden? Wie können wir unsere armen Kinder ernähren da wir für uns selbst nichts mehr haben?” – “Weißt du was, Mann,” antwortete die Frau, “wir wollen morgen in aller Frühe die Kinder hinaus in den Wald führen, wo er am dicksten ist. Da machen wir ihnen ein Feuer an und geben jedem noch ein Stückchen Brot, dann gehen wir an unsere Arbeit und lassen sie allein. Sie finden den Weg nicht wieder nach Haus, und wir sind sie los.” – “Nein, Frau,” sagte der Mann, “das tue ich nicht; wie sollt ich’s übers Herz bringen, meine Kinder im Walde allein zu lassen! Die wilden Tiere würden bald kommen und sie zerreißen.” – “Oh, du Narr,” sagte sie, “dann müssen wir alle viere Hungers sterben, du kannst nur die Bretter für die Särge hobeln,” und ließ ihm keine Ruhe, bis er einwilligte. “Aber die armen Kinder dauern mich doch,” sagte der Mann.

Die zwei Kinder hatten vor Hunger auch nicht einschlafen können und hatten gehört, was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Gretel weinte bittere Tränen und sprach zu Hänsel: “Nun ist’s um uns geschehen.” – “Still, Gretel,” sprach Hänsel, “gräme dich nicht, ich will uns schon helfen.” Und als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf, zog sein Röcklein an, machte die Untertüre auf und schlich sich hinaus. Da schien der Mond ganz hell, und die weißen Kieselsteine, die vor dem Haus lagen, glänzten wie lauter Batzen. Hänsel bückte sich und steckte so viele in sein Rocktäschlein, als nur hinein wollten. Dann ging er wieder zurück, sprach zu Gretel: “Sei getrost, liebes Schwesterchen, und schlaf nur ruhig ein, Gott wird uns nicht verlassen,” und legte sich wieder in sein Bett.

Als der Tag anbrach, noch ehe die Sonne aufgegangen war, kam schon die Frau und weckte die beiden Kinder: “Steht auf, ihr Faulenzer, wir wollen in den Wald gehen und Holz holen.” Dann gab sie jedem ein Stückchen Brot und sprach: “Da habt ihr etwas für den Mittag, aber eßt’s nicht vorher auf, weiter kriegt ihr nichts.” Gretel nahm das Brot unter die Schürze, weil Hänsel die Steine in der Tasche hatte. Danach machten sie sich alle zusammen auf den Weg nach dem Wald. Als sie ein Weilchen gegangen waren, stand Hänsel still und guckte nach dem Haus zurück und tat das wieder und immer wieder. Der Vater sprach: “Hänsel, was guckst du da und bleibst zurück, hab acht und vergiß deine Beine nicht!” – “Ach, Vater,” sagte Hänsel, “ich sehe nach meinem weißen Kätzchen, das sitzt oben auf dem Dach und will mir Ade sagen.” Die Frau sprach: “Narr, das ist dein Kätzchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein scheint.” Hänsel aber hatte nicht nach dem Kätzchen gesehen, sondern immer einen von den blanken Kieselsteinen aus seiner Tasche auf den Weg geworfen.

Als sie mitten in den Wald gekommen waren, sprach der Vater: “Nun sammelt Holz, ihr Kinder, ich will ein Feuer anmachen, damit ihr nicht friert.” Hänsel und Gretel trugen Reisig zusammen, einen kleinen Berg hoch. Das Reisig ward angezündet, und als die Flamme recht hoch brannte, sagte die Frau: “Nun legt euch ans Feuer, ihr Kinder, und ruht euch aus, wir gehen in den Wald und hauen Holz. Wenn wir fertig sind, kommen wir wieder und holen euch ab.”

Hänsel und Gretel saßen um das Feuer, und als der Mittag kam, aß jedes sein Stücklein Brot. Und weil sie die Schläge der Holzaxt hörten, so glaubten sie, ihr Vater wär’ in der Nähe. Es war aber nicht die Holzaxt, es war ein Ast, den er an einen dürren Baum gebunden hatte und den der Wind hin und her schlug. Und als sie so lange gesessen hatten, fielen ihnen die Augen vor Müdigkeit zu, und sie schliefen fest ein. Als sie endlich erwachten, war es schon finstere Nacht. Gretel fing an zu weinen und sprach: “Wie sollen wir nun aus dem Wald kommen?” Hänsel aber tröstete sie: “Wart nur ein Weilchen, bis der Mond aufgegangen ist, dann wollen wir den Weg schon finden.” Und als der volle Mond aufgestiegen war, so nahm Hänsel sein Schwesterchern an der Hand und ging den Kieselsteinen nach, die schimmerten wie neugeschlagene Batzen und zeigten ihnen den Weg. Sie gingen die ganze Nacht hindurch und kamen bei anbrechendem Tag wieder zu ihres Vaters Haus. Sie klopften an die Tür, und als die Frau aufmachte und sah, daß es Hänsel und Gretel waren, sprach sie: “Ihr bösen Kinder, was habt ihr so lange im Walde geschlafen, wir haben geglaubt, ihr wollet gar nicht wiederkommen.” Der Vater aber freute sich, denn es war ihm zu Herzen gegangen, daß er sie so allein zurückgelassen hatte.

Nicht lange danach war wieder Not in allen Ecken, und die Kinder hörten, wie die Mutter nachts im Bette zu dem Vater sprach: “Alles ist wieder aufgezehrt, wir haben noch einen halben Laib Brot, hernach hat das Lied ein Ende. Die Kinder müssen fort, wir wollen sie tiefer in den Wald hineinführen, damit sie den Weg nicht wieder herausfinden; es ist sonst keine Rettung für uns.” Dem Mann fiel’s schwer aufs Herz, und er dachte: Es wäre besser, daß du den letzten Bissen mit deinen Kindern teiltest. Aber die Frau hörte auf nichts, was er sagte, schalt ihn und machte ihm Vorwürfe. Wer A sagt, muß B sagen, und weil er das erstemal nachgegeben hatte, so mußte er es auch zum zweitenmal.

Die Kinder waren aber noch wach gewesen und hatten das Gespräch mitangehört. Als die Alten schliefen, stand Hänsel wieder auf, wollte hinaus und die Kieselsteine auflesen, wie das vorigemal; aber die Frau hatte die Tür verschlossen, und Hänsel konnte nicht heraus. Aber er tröstete sein Schwesterchen und sprach: “Weine nicht, Gretel, und schlaf nur ruhig, der liebe Gott wird uns schon helfen.”

Am frühen Morgen kam die Frau und holte die Kinder aus dem Bette. Sie erhielten ihr Stückchen Brot, das war aber noch kleiner als das vorigemal. Auf dem Wege nach dem Wald bröckelte es Hänsel in der Tasche, stand oft still und warf ein Bröcklein auf die Erde. “Hänsel, was stehst du und guckst dich um?” sagte der Vater, “geh deiner Wege!” – “Ich sehe nach meinem Täubchen, das sitzt auf dem Dache und will mir Ade sagen,” antwortete Hänsel. “Narr,” sagte die Frau, “das ist dein Täubchen nicht, das ist die Morgensonne, die auf den Schornstein oben scheint.” Hänsel aber warf nach und nach alle Bröcklein auf den Weg.

Die Frau führte die Kinder noch tiefer in den Wald, wo sie ihr Lebtag noch nicht gewesen waren. Da ward wieder ein großes Feuer angemacht, und die Mutter sagte: “Bleibt nur da sitzen, ihr Kinder, und wenn ihr müde seid, könnt ihr ein wenig schlafen. Wir gehen in den Wald und hauen Holz, und abends, wenn wir fertig sind, kommen wir und holen euch ab.” Als es Mittag war, teilte Gretel ihr Brot mit Hänsel, der sein Stück auf den Weg gestreut hatte. Dann schliefen sie ein, und der Abend verging; aber niemand kam zu den armen Kindern. Sie erwachten erst in der finstern Nacht, und Hänsel tröstete sein Schwesterchen und sagte: “Wart nur, Gretel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Brotbröcklein sehen, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Haus.” Als der Mond kam, machten sie sich auf, aber sie fanden kein Bröcklein mehr, denn die viel tausend Vögel, die im Walde und im Felde umherfliegen, die hatten sie weggepickt. Hänsel sagte zu Gretel: “Wir werden den Weg schon finden.” Aber sie fanden ihn nicht. Sie gingen die ganze Nacht und noch einen Tag von Morgen bis Abend, aber sie kamen aus dem Wald nicht heraus und waren so hungrig, denn sie hatten nichts als die paar Beeren, die auf der Erde standen. Und weil sie so müde waren, daß die Beine sie nicht mehr tragen wollten, so legten sie sich unter einen Baum und schliefen ein.

Nun war’s schon der dritte Morgen, daß sie ihres Vaters Haus verlassen hatten. Sie fingen wieder an zu gehen, aber sie gerieten immer tiefer in den Wald, und wenn nicht bald Hilfe kam, mußten sie verschmachten. Als es Mittag war, sahen sie ein schönes, schneeweißes Vögelein auf einem Ast sitzen, das sang so schön, daß sie stehen blieben und ihm zuhörten. Und als es fertig war, schwang es seine Flügel und flog vor ihnen her, und sie gingen ihm nach, bis sie zu einem Häuschen gelangten, auf dessen Dach es sich setzte, und als sie ganz nahe herankamen, so sahen sie, daß das Häuslein aus Brot gebaut war und mit Kuchen gedeckt; aber die Fenster waren von hellem Zucker. “Da wollen wir uns dranmachen,” sprach Hänsel, “und eine gesegnete Mahlzeit halten. Ich will ein Stück vom Dach essen, Gretel, du kannst vom Fenster essen, das schmeckt süß.” Hänsel reichte in die Höhe und brach sich ein wenig vom Dach ab, um zu versuchen, wie es schmeckte, und Gretel stellte sich an die Scheiben und knupperte daran. Da rief eine feine Stimme aus der Stube heraus:

“Knupper, knupper, Kneischen,
Wer knuppert an meinem Häuschen?”

Die Kinder antworteten:

“Der Wind, der Wind,
Das himmlische Kind,”

und aßen weiter, ohne sich irre machen zu lassen. Hänsel, dem das Dach sehr gut schmeckte, riß sich ein großes Stück davon herunter, und Gretel stieß eine ganze runde Fensterscheibe heraus, setzte sich nieder und tat sich wohl damit. Da ging auf einmal die Türe auf, und eine steinalte Frau, die sich auf eine Krücke stützte, kam herausgeschlichen. Hänsel und Gretel erschraken so gewaltig, daß sie fallen ließen, was sie in den Händen hielten. Die Alte aber wackelte mit dem Kopfe und sprach: “Ei, ihr lieben Kinder, wer hat euch hierher gebracht? Kommt nur herein und bleibt bei mir, es geschieht euch kein Leid.” Sie faßte beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen. Da ward ein gutes Essen aufgetragen, Milch und Pfannkuchen mit Zucker, Äpfel und Nüsse. Hernach wurden zwei schöne Bettlein weiß gedeckt, und Hänsel und Gretel legten sich hinein und meinten, sie wären im Himmel.

Die Alte hatte sich nur freundlich angestellt, sie war aber eine böse Hexe, die den Kindern auflauerte, und hatte das Brothäuslein bloß gebaut, um sie herbeizulocken. Wenn eins in ihre Gewalt kam, so machte sie es tot, kochte es und aß es, und das war ihr ein Festtag. Die Hexen haben rote Augen und können nicht weit sehen, aber sie haben eine feine Witterung wie die Tiere und merken’s, wenn Menschen herankommen. Als Hänsel und Gretel in ihre Nähe kamen, da lachte sie boshaft und sprach höhnisch: “Die habe ich, die sollen mir nicht wieder entwischen!” Früh morgens, ehe die Kinder erwacht waren, stand sie schon auf, und als sie beide so lieblich ruhen sah, mit den vollen roten Backen, so murmelte sie vor sich hin: “Das wird ein guter Bissen werden.” Da packte sie Hänsel mit ihrer dürren Hand und trug ihn in einen kleinen Stall und sperrte ihn mit einer Gittertüre ein. Er mochte schrein, wie er wollte, es half ihm nichts. Dann ging sie zur Gretel, rüttelte sie wach und rief: “Steh auf, Faulenzerin, trag Wasser und koch deinem Bruder etwas Gutes, der sitzt draußen im Stall und soll fett werden. Wenn er fett ist, so will ich ihn essen.” Gretel fing an bitterlich zu weinen; aber es war alles vergeblich, sie mußte tun, was die böse Hexe verlangte.

Nun ward dem armen Hänsel das beste Essen gekocht, aber Gretel bekam nichts als Krebsschalen. Jeden Morgen schlich die Alte zu dem Ställchen und rief: “Hänsel, streck deine Finger heraus, damit ich fühle, ob du bald fett bist.” Hänsel streckte ihr aber ein Knöchlein heraus, und die Alte, die trübe Augen hatte, konnte es nicht sehen und meinte, es wären Hänsels Finger, und verwunderte sich, daß er gar nicht fett werden wollte. Als vier Wochen herum waren und Hänsel immer mager blieb, da überkam sie die Ungeduld, und sie wollte nicht länger warten. “Heda, Gretel,” rief sie dem Mädchen zu, “sei flink und trag Wasser! Hänsel mag fett oder mager sein, morgen will ich ihn schlachten und kochen.” Ach, wie jammerte das arme Schwesterchen, als es das Wasser tragen mußte, und wie flossen ihm die Tränen über die Backen herunter! “Lieber Gott, hilf uns doch,” rief sie aus, “hätten uns nur die wilden Tiere im Wald gefressen, so wären wir doch zusammen gestorben!” – “Spar nur dein Geplärre,” sagte die Alte, “es hilft dir alles nichts.”

Frühmorgens mußte Gretel heraus, den Kessel mit Wasser aufhängen und Feuer anzünden. “Erst wollen wir backen,” sagte die Alte, “ich habe den Backofen schon eingeheizt und den Teig geknetet.” Sie stieß das arme Gretel hinaus zu dem Backofen, aus dem die Feuerflammen schon herausschlugen “Kriech hinein,” sagte die Hexe, “und sieh zu, ob recht eingeheizt ist, damit wir das Brot hineinschieben können.” Und wenn Gretel darin war, wollte sie den Ofen zumachen und Gretel sollte darin braten, und dann wollte sie’s aufessen. Aber Gretel merkte, was sie im Sinn hatte, und sprach: “Ich weiß nicht, wie ich’s machen soll; wie komm ich da hinein?” – “Dumme Gans,” sagte die Alte, “die Öffnung ist groß genug, siehst du wohl, ich könnte selbst hinein,” krabbelte heran und steckte den Kopf in den Backofen. Da gab ihr Gretel einen Stoß, daß sie weit hineinfuhr, machte die eiserne Tür zu und schob den Riegel vor. Hu! Da fing sie an zu heulen, ganz grauselich; aber Gretel lief fort, und die gottlose Hexe mußte elendiglich verbrennen.

Gretel aber lief schnurstracks zum Hänsel, öffnete sein Ställchen und rief: “Hänsel, wir sind erlöst, die alte Hexe ist tot.” Da sprang Hänsel heraus wie ein Vogel aus dem Käfig, wenn ihm die Türe aufgemacht wird. Wie haben sie sich gefreut sind sich um den Hals gefallen, sind herumgesprungen und haben sich geküßt! Und weil sie sich nicht mehr zu fürchten brauchten, so gingen sie in das Haus der Hexe hinein. Da standen in allen Ecken Kasten mit Perlen und Edelsteinen. “Die sind noch besser als Kieselsteine,” sagte Hänsel und steckte in seine Taschen, was hinein wollte. Und Gretel sagte:” Ich will auch etwas mit nach Haus bringen,” und füllte sein Schürzchen voll. “Aber jetzt wollen wir fort,” sagte Hänsel, “damit wir aus dem Hexenwald herauskommen.” Als sie aber ein paar Stunden gegangen waren, gelangten sie an ein großes Wasser. “Wir können nicht hinüber,” sprach Hänsel, “ich seh keinen Steg und keine Brücke.” – “Hier fährt auch kein Schiffchen,” antwortete Gretel, “aber da schwimmt eine weiße Ente, wenn ich die bitte, so hilft sie uns hinüber.”

Da rief sie:

“Entchen, Entchen,
Da steht Gretel und Hänsel.
Kein Steg und keine Brücke,
Nimm uns auf deinen weißen Rücken.”

Das Entchen kam auch heran, und Hänsel setzte sich auf und bat sein Schwesterchen, sich zu ihm zu setzen. “Nein,” antwortete Gretel, “es wird dem Entchen zu schwer, es soll uns nacheinander hinüberbringen.” Das tat das gute Tierchen, und als sie glücklich drüben waren und ein Weilchen fortgingen, da kam ihnen der Wald immer bekannter und immer bekannter vor, und endlich erblickten sie von weitem ihres Vaters Haus. Da fingen sie an zu laufen, stürzten in die Stube hinein und fielen ihrem Vater um den Hals. Der Mann hatte keine frohe Stunde gehabt, seitdem er die Kinder im Walde gelassen hatte, die Frau aber war gestorben. Gretel schüttelte sein Schürzchen aus, daß die Perlen und Edelsteine in der Stube herumsprangen, und Hänsel warf eine Handvoll nach der andern aus seiner Tasche dazu. Da hatten alle Sorgen ein Ende, und sie lebten in lauter Freude zusammen. Mein Märchen ist aus, dort lauft eine Maus, wer sie fängt, darf sich eine große Pelzkappe daraus machen.

Die Moral des Märchens

  • Geschwisterloyalität und Zusammenhalt in schwierigen Situationen sind wichtig.
  • Es betont die Gefahren von Gier und den Wert von Klugheit, um Hindernisse zu überwinden.
  • Die Geschichte warnt vor blindem Vertrauen und naiver Gutgläubigkeit, insbesondere gegenüber Fremden.
  • Das Märchen zeigt, dass Vorsicht und kritisches Denken notwendig sind, um sich vor potenziellen Gefahren zu schützen.

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Foto vom Kinderbuchautoren Hans-Georg Renner

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