Unheimliche Nachbarn

📚 Kindergeschichte ab 5 Jahren

🕔 Lesezeit: ca. 6 Minuten

📝 Thema: Halloween

In Tims und Sophies Straße war es immer ruhig. Alle Nachbarn kannten sich gut, und jeder wusste, wer wo wohnte. Doch eines Tages änderte sich alles, als das alte Ehepaar im großen Eckhaus auszog und es wochenlang leer stand.

„Da zieht sicher bald jemand ein“, hatte Tim gesagt, als sie an einem Herbsttag auf ihrem Weg zur Schule an dem verlassenen Haus vorbeigingen. Sophie nickte. Doch es vergingen Tage, dann Wochen, und niemand kam.

Bis eines Tages, kurz vor Halloween, plötzlich ein Umzugswagen vor dem Haus stand. Tim und Sophie standen wie angewurzelt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Zwei Leute in schwarzen Mänteln und breiten Hüten stiegen aus dem Wagen. Sie trugen große Sonnenbrillen, obwohl es bereits dämmerte. Und das Merkwürdigste von allem: Der Mann trug eine große Kiste, aus der etwas herausragte, das wie eine Fledermaus aussah.

„Sieh dir das an!“, flüsterte Tim aufgeregt. „Das sind bestimmt Vampire!“

Sophie verdrehte die Augen. „Tim, Vampire gibt es nicht. Hör auf, dir solche Geschichten auszudenken.“

„Aber guck sie dir doch an! Sieh dir ihre mysteriöse Kleidung an. Und wer zieht bei Nacht ein? Das ist doch komisch!“ Tim war überzeugt davon, dass die neuen Nachbarn nicht normal waren.

„Vielleicht mögen sie einfach die Dunkelheit. Oder sie hatten einen weiten Weg“, sagte Sophie skeptisch. „Aber okay, es ist schon ein bisschen merkwürdig.“

Die beiden beschlossen, die neuen Nachbarn im Auge zu behalten. Die nächsten Tage verbrachten sie damit, das Haus aus sicherer Entfernung zu beobachten. Immer wieder sahen sie die beiden neuen Bewohner: eine hochgewachsene Frau mit bleichem Gesicht und langen schwarzen Haaren und einen schlanken Mann mit genauso blasser Haut. Beide schienen das Tageslicht zu meiden, denn sie verließen das Haus nur, wenn es dunkel war.

„Sieh dir das an“, flüsterte Tim eines Abends. „Die Gardinen sind den ganzen Tag zugezogen. Und hast du gesehen, wie die Frau neulich am Fenster stand? Ihr Gesicht war fast durchsichtig!“

Sophie war hin- und hergerissen. Einerseits wusste sie, dass Tims Fantasie oft mit ihm durchging, andererseits gab es tatsächlich viele merkwürdige Dinge. Sie beschlossen, die Sache an Halloween genauer unter die Lupe zu nehmen.

Halloween war endlich da, und die Straße war voller verkleideter Kinder, die von Tür zu Tür gingen, um Süßigkeiten zu sammeln. Die perfekte Tarnung, um das Haus aus der Nähe zu betrachten. Tim und Sophie hatten sich für den Abend einen Plan überlegt: Sie würden bei den neuen Nachbarn klingeln und sehen, was passierte.

„Vielleicht verwandeln sie uns in Fledermäuse“, scherzte Tim, während er in seinem Piratenkostüm durch die Straßen marschierte. Sophie, die als Hexe verkleidet war, rollte mit den Augen, konnte aber ihre Nervosität nicht verbergen.

Als sie schließlich vor dem großen Eckhaus ankamen, stockte ihnen der Atem. Das Haus sah an diesem Abend noch unheimlicher aus. Überall hingen dunkle Schatten, und kein einziges Licht war zu sehen.

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, murmelte Sophie, während sie an der steinernen Treppe standen.

„Komm schon“, sagte Tim und atmete tief durch. „Wir wollen doch wissen, ob sie wirklich Vampire sind!“

Mit einem nervösen Lächeln drückte Tim auf die alte Klingel. Ein langer, gruseliger Klang hallte durch das Haus. Sie warteten – und warteten. Schließlich öffnete sich die Tür mit einem langsamen, unheimlichen Quietschen.

Dann stand die blasse Frau direkt vor ihnen, gekleidet in einem langen, schwarzen Kleid. Sie sah die Kinder mit ihren stechenden, dunklen Augen an.

„Ja?“, fragte sie mit einer tiefen, ruhigen Stimme. „Was wollt ihr?“

Tim, der sich für diesen Moment einen coolen Spruch zurechtgelegt hatte, brachte nur ein „Äh… Süßes oder Saures?“ heraus.

Die Frau musterte die beiden und lächelte dann plötzlich. „Ach, ihr seid für Halloween-Süßigkeiten hier. Natürlich! Einen Moment, bitte.“

Sie verschwand im Haus und ließ die Tür offen. Tim und Sophie standen starr auf der Stelle. Tim flüsterte: „Ich hab’s dir gesagt, sie sind Vampire. Sie holen jetzt ihre magischen Tränke!“

Doch bevor Sophie antworten konnte, kam die Frau zurück – mit einer riesigen Schüssel voller Süßigkeiten.

„Hier“, sagte sie freundlich und hielt ihnen die Schüssel hin. „Bedient euch.“

Verwirrt, aber erleichtert nahmen die beiden einige Bonbons aus der Schüssel. „Danke“, sagte Sophie höflich.

„Viel Spaß heute Abend“, sagte die Frau und lächelte ein weiteres, breites Lächeln, bei dem Tim fast glaubte, spitze Eckzähne zu sehen. Dann schloss sie die Tür.

Auf dem Weg zurück zum Gehweg vor dem Haus atmete Sophie auf. „Na also, es sind nur ganz normale Leute.“

„Normale Leute?“, fragte Tim ungläubig. „Hast du gesehen, wie sie aussieht? Und hast du die Zähne gesehen? Sie haben sich extra freundlich gegeben, um uns zu täuschen. Sie könnten sich jederzeit in Fledermäuse verwandeln und die Nachbarschaft unsicher machen!“

Sophie schüttelte den Kopf und wollte gerade widersprechen, als sie ein seltsames Geräusch hinter sich hörten. Es klang wie ein Flattern. Tim und Sophie drehten sich gleichzeitig um und sahen – eine Fledermaus, die direkt über dem Haus der neuen Nachbarn in den Himmel flog.

„Was hab ich dir gesagt!“, rief Tim triumphierend. „Fledermaus!“

Sophie starrte die Fledermaus an und dann das Haus. Sie konnte nicht glauben, dass das alles Zufall war. „Vielleicht… vielleicht doch“, flüsterte sie.

Und so gingen sie wieder nach Hause – beide mit dem Gefühl, dass sie das Geheimnis der unheimlichen Nachbarn niemals ganz lüften würden. Aber eines wussten sie sicher: In dieser Halloween-Nacht hatten sie genug Abenteuer für ein ganzes Jahr erlebt.