Das Farbfiasko

Ab 6 Jahre | Ca. 7 Minuten | Mario Gastal

Darum geht's

Jasina ist eine kleine Künstlerin. Für Ostern malt sie einen witzigen Comic und Ostereier möchte sie auch anmalen – doch dann kommt es zum Drama.

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Mit konzentriertem Blick saß die elfjährige Jasina vorgebeugt über einem Blatt Papier, auf dem ein Strand und das Meer zu sehen war. Doch es war nicht irgendein Bild, sondern ihr eigenes Kunstwerk.

In ihrer rechten Hand hielt sie einen Pinsel, den sie gerade in die blaue Farbe ihres Tuschkastens tunkte, um die Wellen noch schöner und naturgetreuer zu gestalten. Mit etwas Deckweiß, das sie mit behutsamen kleinen Pinselstrichen auftrug, kreierte sie eine Schaumkrone, die unglaublich echt aussah, ja sie sah beinahe aus wie eine Fotografie.

Die Malerei war ihr größtes Hobby, und beim Malen war sie voller Hingabe und ganz schön detailverliebt, wodurch die Bilder aber umso beeindruckender wurden. Übrigens war es kein Zufall, dass sie das Meer abbildete. Denn seit ihrem Urlaub in Costa Rica fertigte sie am allerliebsten Meeresbilder an, manchmal auch welche von der Unterwasserwelt, wobei sie am häufigsten Schildkröten, Fischschwärme und bunte Korallenriffe malte. Durch die Liebe zum Meer war Blau ihre absolute Lieblingsfarbe geworden.

Jeder wusste es, denn sie trug am häufigsten blaue Kleidchen, Strumpfhosen und sogar Haargummis, und in ihrem Zimmer gab es blaue Vorhänge, Lampenschirme und blaue Bettwäsche durfte natürlich auch nicht fehlen.

Jasina saß draußen auf einer sonnigen Terrasse, wo Vogelgesang sie umfing. Es war auffallend warm – brühend heiß, um genau zu sein, und das schon seit Tagen. Ein Ende war wohl nicht in Sicht, und auch die Trockenheit sollte noch andauern, was der Natur zu schaffen machte. Das Grün des Grases war merklich verblasst, wie Jasina halb traurig, halb beunruhigt feststellte. Doch dann hörte sie etwas Liebreizendes!

 Angelockt von einer besonders klangvollen Vogelmelodie, legte Jasina den Pinsel nieder und ließ den Blick die nahegelegensten Baumstämme hochschweifen. Da geschah es, dass ihr eine Astgabelung auffiel, wo ein hellbrauner Vogel mit einem Zweig im Schnabel inmitten eines Vogelnestes taperte und das Ästchen mit vorgestrecktem Köpfchen irgendwo einbaute – das Nest war so gut wie vollendet, so wie Jasinas Meeresbild, bei dem nur noch die letzten Details fehlten.

„Soll ich dir Wasser hinstellen?“, fragte Jasina schräg hinauf in die Luft.

Der Vogel zwitscherte kurz, was Jasina als „Ja“ wertete. Prompt stand sie auf und holte eine flache Schale, eine sogenannte Vogeltränke. Kaum stand das frische Wasser bereit, flog das hellbraune Vöglein auch schon hinunter, trank ein Schlückchen, setzte sich hinein und badete – dabei bewegte es sich wie beim Ententanz.

Als Jasina zufrieden lächelnd zur Terrasse zurückkehrte, bemerkte sie ihren Papa, der gerade ihr neuestes Bild betrachtete.

„Und? Wie soll das Bild heißen?“, fragte er, denn er hatte ihr neulich erzählt, dass berühmte Künstler ihren Gemälden Namen geben.

Seitdem machte Jasina das auch. Ihr letztes Bild hieß „Schmale Aale und kolossale Wale“. Oder eines ihrer wenigen Bilder, die nichts mit dem Meer zu tun hatten, zeigten einen Otter, der in einen Wald hineinhuschte, und im Hintergrund sah man die Hochhäuser einer kanadischen Stadt, es hieß „Ein Otter war in Ottawa“.

Hierauf hatte ihr Papa gefragt: „Ein Otter war in Ottawa – was wollte denn der Otter da?“

Jasina hatte mit Gelächter auf diese Scherzfrage geantwortet. Jetzt meinte sie, sie überlege noch, wie es heißen könnte.

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In ein paar Tagen war Ostern, weshalb sich Jasina mal an was Neues heranwagte: sie wollte eine Geschichte in Bildern erzählen, indem sie ganz viele Vierecke ausfüllte – sie machte also einen eigenen kleinen Comic.

Darin ging es um den Osterhasen, der Heuschnupfen hatte und ständig niesen musste. Doch er hatte weder Lust, in seine Armbeuge zu niesen, noch seine Hände vors Gesicht zu halten, sodass all der Schleim und Schmodder jedes Mal weit durch die Gegend flogen. Ärger gab es, als er am Kaffeetisch den Kuchen besudelte oder in der Schule die Brillengläser seines Lehrers vollspritzte.

Doch eines Tages stürmte es, und während der Wind von vorne kam, nieste der Osterhase hemmungslos alles raus, was sich in seiner Hasennase befand. Hundert schmierige und schleimige Tropfen flogen nach vorne, aber nur für einen winzigen Augenblick. Dann erfasste sie der Wind und wehte sie kräftig zurück zum Osterhasen. Platsch! Einiges landete in seinem Gesicht, aber das meiste klebte an seinen Ohren. Deshalb nannte sie die Geschichte „Der Osterhase und seine Rotzlöffel“.

 Aber neben dem Comic gab es auch Altbekanntes, was Jasina jedes Jahr vor dem Osterfest machte – Eier anmalen! Zwei Tage vor Ostern nahm sie wieder ihren Tuschkasten. Aber bevor sie sich draußen in die Sonne setzte und ihren Pinsel zur Hand nahm, spurtete sie noch einmal zur Vogeltränke, um sie mit frischem Wasser zu befüllen. Dafür wurde ihr sofort mit einem melodischen Zwitscherständchen gedankt.

Das Lächeln, mit dem sie zu ihrem Tuschkasten zurückkehrte, hielt diesmal jedoch nicht lange. Denn kaum hatte sie das erste Ei zur Bemalung ausgewählt, bemerkte sie etwas Schreckliches! Sie wollte es in ihrer Lieblingsfarbe anstreichen, doch das war unmöglich – die blaue Farbe war alle!

 „Mama! Wir müssen blaue Farbe kaufen gehen!“, rief Jasina, die jetzt nicht mehr nur von der Luftwärme erhitzt war.
„Aber heute ist Karfreitag – alle Geschäfte haben zu. Und der morgige Tag ist schon völlig durchgeplant …“

Da, urplötzlich, zwitscherte es so laut, dass sowohl Jasina als auch ihre Mama zum Vogelnest hinaufblickten. Wollte das Vöglein etwa ihre Aufmerksamkeit erhaschen? Und wenn ja, wieso?

„Wir werden auch dieses Ostern blaue Eier haben“, sagte ihre Mama sanft.
Jasina war völlig verdattert.
„Wie? Warum?“, stammelte sie.

Ihre Mama lächelte auf dieselbe Weise wie Jasina, wenn sie dem Vöglein das Wasser brachte.

„Weißt du, welche Vogelart in der Astgabelung ihr Nest gebaut hat?“
Jasina schĂĽttelte den Kopf.
„Eine Singdrossel«, erklärte ihre Mama, »warte mal …“

Ihre Mama ging los, holte eine Leiter und lehnte sie an den Baumstamm. Sie winkte Jasina zu sich, hielt mit beiden Händen die Leiter fest und bat ihre Tochter, die Sprossen hochzuklettern.

Ausgesprochen vorsichtig gewann Jasina an Höhe, bis sie jene Sprosse erklomm, durch die sie hoch genug war, um ins Nest hineinzuschauen – und siehe da!

 Weich eingebettet in Ästchen, Gras und Laub, lagen fünf himmelblaue Eier von strahlender Schönheit, in einer blauen Farbe wahrlich so schön, wie Jasina sie kaum hätte mischen können. Jasina lächelte. Sie war nicht nur vollauf zufrieden, sie war hellauf begeistert!

 Natürlich ließ sie die Eier im Nest. Aber sie wusste nun, dass die wundervollsten Eier mit dem allerschönsten Blauton, den sie je gesehen hatte, während des Osterfests nur wenige Meter über ihren Köpfen lagen. Und aus diesen Eiern entschlüpfte eines Tages sogar neues Leben.

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