Eurelia und der Weihnachtswunsch

Martina Türschmann

Eurelia kann machen, was sie will, das Christkind lässt sich einfach nicht verhexen. Gut, sie kann sich ihren Herzenswunsch selbst herbeizaubern, aber sie sehnt sich so sehr danach, an Weihnachten auch einmal beschenkt zu werden…

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Nach Lesedauer: Ca. 5 – 10 Minuten

Eurelia und der Weihnachtswunsch | Seite 1/3

„Wenn du so weitermachst, hext du dir noch die Stimmbänder raus. Lass es bleiben. Du schaffst es ja doch nicht“, maunzte es gelangweilt aus dem Bücherregal.

Eurelia hielt inne. Dann schielte sie nach oben und fixierte Zenturo mit stechendem Blick. „Wirst du wohl bitte endlich Ruhe geben?“, quetschte sie zwischen den Zähnen hervor und unterdrückte den Groll, der langsam in ihr hochstieg. Die Aufgabe, die sie sich gestellt hatte, war schon schwer genug. Dieser missratene Kater musste nicht auch noch ständig seinen Senf dazugeben.

„Lass es einfach“, stichelte er erneut.

„Spinnenbein und Krötenmilch“, schimpfte sie, stampfte kräftig mit dem Fuß auf und fauchte. Augenblicklich war es still in dem alten Bahnwärterhäuschen. Eurelia warf einen finsteren Blick in die Runde. Der braune Globus, den sie vor langer Zeit von ihrer Großmutter geerbt hatte, hörte sofort auf, sich zu drehen. Mitten in einem Lied verstummte der singende Tannenbaum, den sie sich extra für die Weihnachtszeit in die Bibliothek gehext hatte. Auch der Kater schien endlich Ruhe zu geben. Für einen Moment drang kein Mucks mehr an ihre Ohren.

„Geht doch“, brummte sie und hob zufrieden die Arme. Dabei klapperten die vielen Reife an ihren Handgelenken. Ihre gekrümmten Finger zeigten nun auf eine Kristallkugel, die direkt vor ihr auf dem einbeinigen Tischchen stand. Einmal schielte sie noch schnell nach oben, aber nichts rührte sich mehr.

„Ich krieg das hin“, murmelte sie und kniff die Augen zusammen. Dann holte sie tief Luft und zog konzentriert die Stirn in Falten.

„Liebes Christkind…“, begann sie, doch in dem Moment
maunzte es erneut über ihrem Kopf: „In meinem ganzen Leben habe ich noch nie so eine sture Hexe erlebt“, schnurrte der Kater. Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören.

Mit zwei Sätzen sprang er von seinem Hochsitz und schritt erhobenen Hauptes an ihr vorbei.

„Zenturo! Du machst mich wahnsinnig. So kann das nie was werden“, heulte Eurelia auf. Dann schnappte sie sich ihren grünen Pantoffel und pfefferte ihn dem Kater hinterher. Der suchte schnell das Weite und fauchte. Doch das Pfeffern von Hauslatschen lag ihr nicht. Sie verfehlte den Störenfried und traf stattdessen das große Hexenbuch, das trotz des Lärms an dem wuchtigen Schreibtisch lehnte und ein Nickerchen hielt.

Der Kater verkroch sich unter dem schweren Möbelstück und legte die Vorderpfoten übereinander. „Ich weiß gar nicht, warum du dir solche Mühe gibst. Du kannst das Christkind nicht verhexen, damit es dir deinen Herzenswunsch erfüllt“, knurrte er und schien beleidigt zu sein. „Niemand kann das, nicht einmal du. Zauber dir deinen Wunsch doch selbst herbei“, schlug er vor. „Wofür bist du denn eine Hexe?“ Dabei bewegte sich sein langer Schwanz und kitzelte den Schreibtisch an seinem massiven Fuß.

„Soll ich dich gleich zu Mäusefutter verarbeiten oder erst, wenn ich hier fertig bin? Schwarze Kater schmecken besonders gut“, fuhr sie ihn an. „Ich will mir meinen Wunsch nicht selbst hexen. Das Christkind soll ihn mir schenken. Bei den Kindern in unserer Straße macht es das ja auch jedes Jahr.“ Sie beugte sich zu ihm runter und setzte den finstersten Blick auf, zu dem sie in der Lage war.

Eurelia und der Weihnachtswunsch | Seite 2/3

Der Kater verdrehte die Augen, streckte sich und zeigte seine Krallen. Dann richtete er sich auf und stolzierte an ihrem Rocksaum vorbei. Mit einem eleganten Satz sprang er in sein Körbchen und rollte sich zusammen.

Eurelia kam wieder in die Höhe. „Ja, ja, schon gut“, seufzte sie und resignierte. Dabei strich sie sich mit den Händen über den Rock. Der Kater hatte Recht. Das Christkind ließ sich nicht manipulieren. Unmöglich war das. Selbst für eine so schlaue Hexe wie sie.

Sie kratzte sich an ihrer Hakennase, kehrte der Kristallkugel den Rücken zu und schlurfte in die Küche. Morgen war Heilig Abend und sie hatte immer noch keine Aussicht auf ein Geschenk. Mit sich und der ganzen Welt unzufrieden, ließ sie sich auf einen Stuhl fallen. Gedankenverloren starrte sie aus dem Fenster. Draußen wurde es langsam dunkel.

Gut, wenn sie das Weihnachtsgeschenk nicht bekam, konnte sie damit leben. Das war dann halt so. Zenturo hatte recht, sie war schließlich eine Hexe. Ein Seufzer entfuhr ihrer Brust.

Doch wie sehr sehnte sie sich danach, bei der Bescherung nicht vergessen zu werden. So groß war dieser Wunsch, dass ihr der Bauch fast weh tat. Und zudem war sie eine brave Hexe. Der Nachbar von gegenüber hatte zwar zeitweilig keine Stimme mehr, da er oft gemein zu den Kindern war, doch das geschah ihm nur recht. Sein Gebrüll, wenn’s beim Spiel ein wenig lauter zuging, war für sie kaum zu ertragen. Da funkte sie dann schon mal still und leise dazwischen und wendete ihre Fähigkeiten an.

Nun fing es an, zu schneien. Zarte Schneeflöckchen setzten sich auf die Scheibe. Für einen kurzen Moment erahnte Eurelia ihre Muster, dann schmolzen sie weg. Sie lächelte. Wie zauberhaft das aussah. Schließlich gähnte sie herzhaft, reckte dabei die Arme in die Luft und streckte sich. Hexen war anstrengend, vor allem, wenn es nicht klappte. Und dass sie es nicht geschafft hatte, das Christkind für sich zu gewinnen, war so klar wie die Sicht in ihrer Kristallkugel. Ihr Instinkt hatte sie noch nie getäuscht.

Wenigstens hatte sie es warm. Im Kamin brannte ein Feuer und auf der Ofenbank luden viele bunte Kissen zur Nachtruhe ein. Wie gemütlich sie es doch hatte. Erschöpft kuschelte sie sich hinein und deckte sich zu. Nicht lange und Eurelia war eingeschlafen. Ein paar Minuten später schnarchte sie so laut, dass sie nicht einmal den Nachtzug hörte, der an ihrem Häuschen vorbei rumpelte und einen schrillen Pfiff ausstieß – und schon gar nicht den zarten Glockenklang, der für kurze Zeit die Bibliothek erfüllte.

Eurelia und der Weihnachtswunsch | Seite 3/3

Erst die Morgensonne kitzelte sie wach. Sie schien zum Fenster herein und streichelte über ihre Wangen. Eurelia schlug die Augen auf und schaute direkt in Zenturos schwarzes Gesicht. Ihre Nasen berührten sich fast.

Mitten auf ihrem Bauch saß er und glotzte sie mit schief gelegtem Kopf an. „Na endlich, du Schlafmütze. Steh auf oder willst du Weihnachten verpassen?“, maunzte er. Dann sprang er rasch auf den Boden, bevor sie ihn zu fassen bekam.

Schlaftrunken erhob sie sich und setzte Teewasser auf. Gleich darauf schlurfte sie in die Bibliothek, stutzte und blieb im Türrahmen stehen. Träumte sie noch? Schnell kniff sie die Augen zusammen und zählte bis zehn. Dann schaute sie erneut hin. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Still stand sie da und sog das Bild, das sich ihr bot, in sich auf.

An den Fenstern hingen bunte Sterne aus durchsichtigem Papier. Gestern waren sie noch nicht dort. Dann fiel ihr Blick auf eine Schale mit Plätzchen. Sie standen auf ihrem Schreibtisch und sahen köstlich aus. Wer die wohl gebacken hatte? Zenturo bestimmt nicht. Sie kicherte in sich hinein. Doch der eigentliche Blickfang war ihr Tannenbaum. Bunte Kugeln hingen an den Zweigen. Eine silberne Girlande wand sich von der Spitze bis hinunter zum Boden. Brennende Kerzen klemmten an den Ästen und tauchten die Bibliothek in ein funkelndes Licht.

Auch den kleinen Engel, der ganz oben saß und sie anlächelte, kannte sie nicht.

Aus ihrer Tanne war ein richtiger Weihnachtsbaum geworden.

Langsam betrat Eurelia den Raum und summte mit dem Baum mit, der gerade ein neues Weihnachtslied anstimmte.

Schließlich entdeckte sie ein Paket, das in seidenes Papier eingewickelt war. Es lag versteckt unter den tief hängenden Zweigen des Baumes. Ihr Herz hüpfte vor Glück. Gespannt zog sie es hervor und betrachtete es von allen Seiten. Dann hielt sie es nicht mehr aus und riss es auf.

Ein Paar Inline-Skater kamen zum Vorschein. Es waren genau dieselben, die sie den ganzen Sommer über an den Fü.en der Kinder gesehen hatte.

Immer und immer wieder waren sie an ihrem Fenster vorbeigesaust und hatten ihren Spaß an den Dingern. Wie sehr hatte sie sich auch so ein Paar gewünscht. Aber ein geschenktes Paar, das sie sich nicht selbst herbeihexen wollte und das somit umso wertvoller war.

„Zenturo sieh nur!“, jauchzte Eurelia und hielt sie ihm vor die Nase. Dann fiel ihr Blick auf eine bunte Spielmaus, die an einem der Zweige hing. Sie pflückte sie ab, legte sie dem Kater vor die Pfoten und strahlte ihn an.

Mit großen Augen schaute er zu ihr auf. Nicht einmal ein Maunzen bekam er zustande.

Vor Freude tanzte Eurelia nun um die Kristallkugel herum. Dann hielt sie inne und kickte ihre grünen Pantoffeln in eine Ecke. Schnell schlüpfte sie in die Inliner. Erst etwas zittrig, bald immer sicherer, rollte sie durch die Bibliothek. Gleich darauf sauste sie in die Küche und wieder zurück, um den Tisch mit der Kristallkugel herum und raus, den Flur entlang.

Beide Hände nach vorne gestreckt, stoppte sie an der Eingangstür und wendete. Zurück ging es in die Bibliothek, von wo sie eine neue Runde startete. So kurvte sie im Takt des nun pfeifenden Teekessels durch das Haus. Völlig erschöpft ließ sie sich schließlich in ihren Ohrensessel fallen. Die Beine warf sie dabei in die Luft. Dann lachte sie, bis ihr die Tränen in die Augen traten. „Weißt du was, Zenturo?“, japste sie atemlos. „Das macht so einen Spaß, dass ich mir nächstes Jahr vom Osterhasen ein Paar Schlittschuhe wünsche.“

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