Aus dem Staub gemacht | Seite 1/3
„Marie, wir müssen hier dringend saugen.“ Papa kam ins Zimmer, stellte den Staubsauger an den Schrank und sah sich prüfend um.
„Morgen“, gähnte Marie. „Ich bin so müde. Es ist doch schon Zeit, ins Bett zu gehen.“
Papa lachte und drückte ihr einen Gutenachtkuss auf die Stirn. „Na gut, dann aber gleich morgen früh. Wenn du nicht aufpasst, wird aus dir noch eine Wollmaus.“
Marie schüttelte sich. „Bah! Die sind so dreckig.“ Dann kuschelte sie sich in die weiche Decke.
Papa löschte das Licht und verließ das Zimmer.
Plötzlich ein Knacken! Marie schlug die Augen auf. Es war dunkel, nur ein paar Staubflocken tanzten in den dünnen Mondstrahlen.
Da hörte sie ein Flüstern unter dem Bett. Vorsichtig lugte sie unter ihrer Decke hervor. Es flüsterte wieder und dieses Mal konnte sie es verstehen. „Wir müssen leise sein, sonst wecken wir sie.“
Angst und Neugier zogen gleichermaßen an ihr, aber die Neugier siegte und sie beugte sich vorsichtig über die Bettkante. Da verlor sie das Gleichgewicht und fiel auf den weichen Teppich. Irgendwas stimmte nicht. Sie sah nach oben. Das Bett war unerreichbar hoch und sie war winzig klein! Oh nein!
Tief unter dem Bett bewegten sich Schatten. „Na toll, jetzt ist sie wach“, sagte eine hohe Stimme. „Ihr wart zu laut“, brummte eine andere. „Glaubst du, sie hat uns entdeckt?“
Marie nahm allen Mut zusammen. „Ich kann euch hören. Wer seid ihr?“
Ein paar aufgebauschte Gestalten kamen unter ihrem Bett hervor. Wollmäuse!
Marie wich erschrocken zurück.
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„Du musst dich nicht vor uns fürchten“, meinte eine kleine Wollmaus, die nur halb so groß war wie Marie. Alle Mäuse bestanden aus dichter Staubwolle mit kleinen dunklen Augen und runden Ohren. Und sie waren dreckig, furchtbar dreckig. „Wir tun dir nichts“, brummte die größte in der Mitte und ging einen Schritt auf sie zu. Staub rieselte von ihrem Fell, als sie die Arme nach Marie ausstreckte.
„Kommt mir nicht zu nah!“, schrie Marie erschrocken und nieste. „Solche wie ihr sollen nicht in meinem Zimmer wohnen. Ihr seid eklig!“ Sie drehte sich um und rannte.
Die dicken Teppichfasern machten es ihr schwer, schnell voranzukommen. Immer wieder blieb sie darin hängen, aber sie musste weg und rannte weiter, bis sie auf einmal vor dem Staubsauger stand. Das war die Rettung! Sie zog sich hoch und klammerte sich an etwas fest – der Schalter! Der Staubsauger heulte auf. Vor Schreck ließ sie los und wurde – schwupps – eingesaugt.
Wie auf einer Achterbahn sauste Marie durch das dunkle Rohr ins Innere des Staubsaugers. Rechts herum, links herum, die Luft zog an ihren Haaren. Als ihr schon ganz schwindelig war, spuckte der Sauger sie in eine große Höhle. Zu ihrer Erleichterung landete sie weich auf einem großen Berg aus Staub, der aufwirbelte und sie über und über mit Staub bedeckte. Marie musste niesen. Und dann gleich noch einmal.
Langsam begannen ihre Augen, sich an das fehlende Licht zu gewöhnen. Marie sah hoch zum Rohr, aus dem sie gefallen war. Wie sollte sie hier nur jemals wieder herauskommen? Sie fing an zu weinen, weil sie nicht wusste, was sie tun sollte. Da verstummte das Brummen des Staubsaugers plötzlich.
„Hallo?“, rief da eine Stimme in der Dunkelheit. Ein dunkles Köpfchen streckte sich aus dem Rohrloch heraus und sah zu ihr herunter. „Bist du da drin?“
Marie fiel ein Stein vom Herzen. Das war eine der dreckigen Wollmäuse, vor denen sie gerade noch Angst gehabt hatte. Aber jetzt war sie so froh, den kleinen Kerl zu sehen. „Hier bin ich!“, rief sie und winkte.
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„Halte aus, wir retten dich!“, versprach die Wollmaus. Eine nach der anderen schob sich durch das Loch und hielt dabei den Vordermann wie an einer Kette fest.
„Gib mir deine Hand!“, sagte die vorderste Wollmaus. Marie machte sich so groß, wie sie konnte und griff die wollige Hand. Mit viel Anstrengung und Geschiebe zogen die Wollmäuse Marie gemeinsam aus dem Staubsaugerbeutel heraus, sodass sie den Schlauch entlang nach draußen krabbeln konnte. Staubig und erschöpft sank Marie auf den Teppich.
„Geschafft!“, ächzte die kleine Wollmaus und lächelte sie an.
Marie hatte noch nie so ein nettes Lächeln gesehen. „Das war knapp“, brummte die größte Wollmaus und klopfte ihr auf die Schulter. Staub wirbelte auf, aber das störte Marie kein bisschen.
„Danke, dass ihr mich gerettet habt“, sagte Marie. „Obwohl ich so gemein zu euch war.“
Die kleine Wollmaus winkte ab. „Viele Menschen haben Angst vor uns, weil wir dreckig sind.“ Sie schüttelte sich, sodass der Staub im Mondlicht nur so flog. Marie musste wieder niesen. „Aber wir würden nie jemanden in Not im Stich lassen.“
„Ich würde gerne eure Freundin sein“, bat Marie.
„Abgemacht“, stimmte die Kleine zu. Da wehte der Nachtwind eine Brise durch das offene Fenster und die Wollmäuse begannen, über den Boden zu tanzen. „Komm!“, rief die kleine Wollmaus.
Marie nahm ihre Hand, juchzte und drehte sich mit ihnen im Wind.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, war wieder alles wie immer. Marie rieb sich verschlafen die Augen, als Papa hereinkam.
„Guten Morgen, Marie“, sagte er. „Bereit zum Saugen? Oder möchtest du lieber eine Wollmaus sein?“
Marie dachte an die Wollmäuse unter ihrem Bett, die sie letzte Nacht gerettet hatten. „Ach Papa, ich finde so ein bisschen Staub eigentlich überhaupt nicht schlimm. Wollmäuse sind nämlich die nettesten Tiere, die ich kenne.“
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