Einmal Ritter sein

Anne-Katrin Paulke

Ulrich ist der Sohn eines Bauern und träumt davon, ein Ritter zu sein. Dies scheint unmöglich, doch das Glück ist auf seiner Seite: Feenmagie hebt ihn in den Sattel eines edlen Pferdes, die Turnierlanze wiegt schwer in seiner eisernen Hand. Kann sich Ulrich als würdig erweisen? Und was hat dies mit einem blökenden Schaf zwischen dunklen Bäumen und Donnergrollen zu tun?

Nach Alter: 5-8 Jahre

Nach Lesedauer: Ca. 11 Minuten

Tausche Schwein an der Leine gegen Pferd mit Lanze | Teil 1/4

Ulrich trat wütend gegen einen Baustamm. „Du bist der Sohn eines Bauern und wirst niemals ein Ritter sein!“, machte er die tiefe Stimme seines Vaters nach. Dabei war Ulrich der Erfüllung seines Traums noch nie so nahe gewesen! Dieser Tage veranstaltete ihr Lehnsherr, Adalbert von Wolfshagen, ein Turnier auf seiner Burg. Die größten Ritter des Landes sollten sich im Lanzen- und Schwertkampf messen.

Und was machte er? Anstatt sich den edlen Herren zu beweisen, damit sie ihn als Knappe aufnahmen, musste Ulrich das Hofschwein Berta im Wald ausführen…

Mürrisch sah er dem rosa Tier zu, wie es mit seiner Schnauze im Dreck nach Leckerbissen wühlte. „So werde ich niemals Abenteuer erleben“, grummelte er vor sich hin. Ulrich seufzte und schloss die Augen. Der Bauernsohn stellte sich vor, wie er einem gefährlichen Drachen in die Augen blickte, mit dem Schwarzen Ritter die Lanze brach und tapfer sein Land verteidigte.

Ein zufriedenes Grunzen riss ihn aus seinen Tagträumen. Berta hatte sich anscheinend satt gefressen und machte es sich auf Moospolstern für ein Mittagsschläfchen gemütlich. Ulrich gähnte. „Die erste gute Idee, die du heute hast. Wenn hier sowieso nichts Spannendes passiert, kann ich mich auch ein wenig von der harten Arbeit mit dir ausruhen“, sagte er und kuschelte sich an ihren dicken Bauch.

Der Schlaf war jedoch nicht von langer Dauer. Von oben zischten Tannenzapfen herab, die ihn hart an Kopf und Schulter trafen. „Hey, was soll das?!“ rief er ärgerlich. In den Wipfeln über ihm knackte es. Eine leuchtende Glitzerkugel löste sich von einem Baum und hielt direkt auf ihn zu. Als sie näher kam, dachte Ulrich, er täusche sich, denn er meinte darin ein Mädchengesicht zu erkennen. So fein und zart, dass es im hellen Glanz der Kugel gleich wieder zu verschwinden drohte. Das fliegende Etwas landete auf seinem rechten Knie. Das Licht wurde schwächer und tatsächlich: ein klitzekleines Mädchen in einem grünen Kleid, das blondes Kringelhaar mit Blüten geschmückt, blickte ihn wütend an.

Die kleine Waldfee Rosalie legte ihre Flügel zusammen und stampfte so kräftig sie konnte auf. „Du schnarchst so laut, dass die Bäume wackeln! Wegen dir ist mir der Schmetterling, dem ich die Flügel neu bemalen sollte, davongeflogen!“

Ulrich brachte kein Wort hervor. Er musste sie die ganze Zeit nur anstarren. „Schau nicht so dumm drein! Jetzt muss ich dir auch noch einen Wunsch erfüllen, da du lautes Menschenkind, mich Feenwesen gesehen hast“, stellte sie mit einem Stirnrunzeln fest. Dazu allerdings fiel Ulrich etwas ein: „Heißt es nicht, dass einem eine Fee drei Wünsche erfüllt?“ Rosalie schnappte: „Jetzt werd mal nicht frech! Du hast einen Wunsch. Sag ihn schnell, damit ich meiner Arbeit wieder nachgehen kann!“ Der Bauernsohn musste nicht lange überlegen: „Ich will als prächtiger Ritter an dem Turnier von Adalbert von Wolfshagen teilnehmen!“ Die Fee kicherte und schnippte mit den Fingern.

Wer hat Angst vorm Schwarzen Ritter? | Teil 2/4

Etwas lag schwer auf seinen Schultern. Es schien ihn tief hinab ziehen zu wollen. Die Luft zum Atmen war knapp, die Außenwelt konnte er nur durch einen schmalen Schlitz sehen. Der Boden schwankte. „Hier mein Herr, eure Lanze“, sagte ein sommersprossiger Junge und drückte sie ihm in die eiserne Hand.

Langsam begriff der Bauernsohn, wo und was er war. Die Fee hatte es tatsächlich möglich gemacht! Er steckte in einer Rüstung! Das leichte Schwanken verursachte sein Pferd und die gedämpften Stimmen kamen aus dem Publikum, das gespannt auf den Schaukampf wartete.

Dann sah er ihn: Der Schwarze Ritter, hoch zu Pferde, stand auf der anderen Seite und war bereit, gegen ihn anzutreten. Ulrich meinte, sein Herz gegen das Eisen seiner Rüstung schlagen zu hören. Das Startzeichen erklang. Der Knappe gab seinem Pferd, das nicht gleich losreiten wollte, einen Klaps. Der Braune sprengte nach vorne. Ulrich sah den Schwarzen Ritter ebenfalls sehr schnell auf sich zureiten.

Angst ergriff den Bauernsohn. Wie konnte man das Ganze stoppen? Er wollte die Englein noch nicht singen hören! „Fee hilf mir!“, schrie Ulrich und zog mit voller Kraft an den Zügeln. Sein Pferd folgte dem Befehl und grub augenblicklich die Hufe tief in den Sand. Ulrich konnte sich nicht mehr im Sattel halten. Er fiel….

und landete im weichen Moos des Waldes. Um ihn herum drehte sich alles. „Ist das schon der Himmel?“, murmelte er und blickte auf die weißen, vorüberziehenden Wolken auf hellem Blau. Er schüttelte seinen Kopf, damit die Bäume endlich aufhörten, im Kreis zu tanzen. Rosalie saß vor ihm auf einem Ast und kringelte sich vor Lachen. „Doch nicht der große Held, was?“, japste sie. Ulrich sah an sich herab. Er trug wieder seine alten Kleider, als wäre nichts gewesen.

In dem Jungen begann es zu brodeln. „Das hast du doch alles mit Absicht gemacht! Du wolltest dir einen Spaß mit mir erlauben!“, rief er wütend. Jetzt wurde auch Rosalie ärgerlich: „Was denkst du dir? Das hast du dir alles selbst zuzuschreiben, du kleiner Angsthase!“ Der Bauernsohn schnaubte: „Verschwinde, ich brauche dich nicht!“. Er schnappte sich Bertas Seil und stapfte aus dem Wald, ohne sich noch einmal umzuschauen.

Enttäuscht war er. Vom Rittersein, von Rosalie aber am meisten von sich selbst. Sein Vater hatte doch Recht gehabt: Er würde nie ein Ritter sein, selbst mit Hokuspokus nicht!

Abends saß Rosalie auf dem Fensterbrett von Ulrichs Zimmer und betrachtete traurig den schlummernden Jungen. Ein bisschen tat er ihr schon leid. Vielleicht hätte sie ihn nicht „Angsthase“ nennen dürfen. Aber als er ihr die Schuld an dem Sturz vom Ritterpferd gegeben hatte, ist die Wut einfach wie ein Knallkrötenrülpser aus ihr herausgeplatzt. Dabei hatte die kleine Fee ihm seinen Wunsch wirklich erfüllen wollen… Rosalie flüsterte geknickt: „Wir werden uns noch einmal wiedersehen, du tapferes Ritterlein“, und flog in die Nacht.

Ein Held zwischen Blitzen und Wollschafen | Teil 3/4

Lustlos rührte Ulrich am nächsten Morgen mit dem Holzlöffel in seinem Hirsebrei. „Nicht faulenzen. Die Schafe müssen auf die Weide!“, spornte sein Vater ihn an. Ulrich erhob sich langsam und trottete zum Stall.

Die Sonne trat gerade ihren Mittagslauf an, als er die saftige Wiese im Luisental erreicht hatte. „Ich muss mir die ganze Sache wirklich aus dem Kopf schlagen“, dachte er bei sich, während er die grasenden Schafe betrachtete. Es gab schließlich Wichtigeres. Er blickte hinauf. Der Himmel über der Weide versprach nichts Gutes. Dunkle Wolken waren aufgezogen. Womöglich gab es bald ein Gewitter.

Er erhob sich, um die Schafe wieder zum Hof zurückzuführen und sagte laut: „Vielleicht habe ich das alles ja auch nur geträumt.“ „Hast du nicht!“, hörte er da ein ihm wohlbekanntes feines Stimmchen sagen. Der Bauernsohn erschrak. Rosalie schwebte vor seiner Nase auf und ab. „Du schon wieder! Mach bloß, dass du wegkommst“, brummte Ulrich. Rosalie schmollte. „Ja, es war nicht das perfekte Ritterabenteuer. Aber ich kann dir doch trotzdem das Leben etwas leichter machen und dir zum Beispiel beim Schafehüten helfen. Schafe määääähhgen mich sehr, vertrau mir“, sagte sie mit einem bittenden Wimpernklimpern.

Die ersten schweren Tropfen fielen, doch Rosalie ließ sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Die kleine Fee flog zu einem Lamm. „Na, du süßes kleines Wollknäuel“, zwitscherte sie. Das Lamm jedoch erschrak und lief mit flinken Hufen in den nahegelegenen Wald.

Ulrich hatte die restlichen Schafe schon zusammengetrieben. Er sah das weiße Tier gerade noch in dem Dunkel der Bäume verschwinden. „Na toll, jetzt muss ich es erst wieder zurückholen. Warte hier und pass wenigstens auf die Herde auf!“, schrie er durch das mittlerweile laut gewordene Donnergrollen.

Die dichten Äste der Bäume hielten den Regen etwas ab, aber der Wind trieb ihm die Tränen in die Augen. Nur mühsam kam der Bauernjunge voran. Ulrich musste das Tier finden. Sein Vater verließ sich doch auf ihn!

Endlich sah er etwas Weißes aufblitzen. Das Lamm hatte sich in einem hohlen Baumstamm versteckt und rief blökend nach Hilfe. Vorsichtig nahm er es in seine Arme und flüsterte ihm ins Ohr: „Keine Angst, ich hab dich. Jetzt wird alles gut.“

Ungeduldig wartete Rosalie bei den anderen Tieren. „Du hast es geschafft!“, jauchzte die kleine Fee, als er das Lamm behutsam neben seiner Schafmama absetzte. „Schon gut“, entgegnete Ulrich, mit ein bisschen Stolz in der Stimme.

Ein Problem war gelöst, aber wie kamen sie bei diesem Unwetter sicher mit den Schafen zum Hof zurück? Rosalie überlegte kurz. „Es ist zwar kein Wunsch, aber ich werde einen Schutzzauber anwenden, der uns vor Regen, Wind und Blitzen bewahrt. Schließlich will ich ja auch schnell ins Trockene“, sagte sie schnell mit einem Augenzwinkern.

Die Fee schwang ihren Zauberstab dreimal um ihren Kopf, drehte sich dabei mit im Kreise, sodass ihr kleines grünes Kleid nur so flatterte. Aus diesem Schwung entwickelte sich eine großer schimmernder Ball als eine Schutzhülle, die die Gruppe nun umgab. Ulrich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Na, habe ich zu viel versprochen? Und nun mach schon, wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir noch zu spät zum Abendbrot“, forderte Rosalie ihn auf.

So kamen sie sicher und trocken an ihrem Ziel an. Die Mutter und der Vater hatten sich große Sorgen um Ulrich gemacht. Sie schlossen ihren Sohn überglücklich in die Arme. Der Vater wunderte sich zwar etwas über die trockene Kleidung des Jungen bei diesem starken Regen, fragte aber nicht weiter nach, schließlich war er heile angekommen und hatte sogar alle Schafe sicher nach Hause gebracht. Er war sehr stolz auf seinen Sohn. Rosalie betrachtete die Zusammenkunft mit einem zufriedenen Lächeln von der Ferne aus.

Doch ein echter Ritter, oder etwa nicht? | Teil 4/4

Später saß Ulrich auf seinem Bett und schaute den Mond an. Sacht landete die kleine Fee auf seiner Decke. „Du warst heute ziemlich mutig“, flüsterte sie. „Ganz ohne Rüstung und Zauberei.“ „Hmm“, machte Ulrich. „Man braucht die Ritterwürde nicht, um sein mutiges Herz zu beweisen. Die Stärke ist schon in dir. Du kleiner Bauernsohn wirst noch viele Abenteuer erleben. Sei dir gewiss, dass ich in einigen davon auftauchen werde“, versprach Rosalie ihm. Sie gab ihm ein leichtes Küsschen auf die Wange, breitete ihre schillernden Feenflügel aus und flog zum Fenster hinaus. Ulrich blickte ihr glücklich nach. „Ich freue mich schon darauf…“

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Beitragsbild Kinderbuchautorin Anne-Katrin Paulke

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Rezensionen zu dieser Geschichte

Leserbewertungen

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4,5 von 5 Sternen (basierend auf 2 Bewertungen)
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Wunderschön zum träumen

6. Juni 2024

Super Geschichte wirklich wunderschön mit viel Fantasie

Yasemin

Der Wunsch hinter dem Wunsch

28. Februar 2023

Eine wundervolle märchenhafte Geschichte! Da hat Ulrich ganz schön mit sich zu kämpfen! Ich hab mit ihm gefiebert und vielen Kindern, die diese Geschichte bereits gelesen haben, ging es bestimmt genauso. Wirklich schön herausgearbeitet, was hinter Ulrichs Wunschtraum steckt und sehr gut beschrieben, welche Gefühle Ulrich durchlebt, bis er schließlich zu einer wichtigen Erkenntnis kommt!

Nur die kleinen Perspektivwechsel hin zu der kleinen Fee Rosalie haben mich kurz verwirrt. Das könnte auch aus Ulrichs Sicht beschrieben oder weggelassen werden.

Elisabeth Hartlieb
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