Was wäre die Nacht der Geister ohne Snacks

9-12 Jahre | ca. 9 Min. | Inken Krüger

Darum geht's

Rebecca ist bei ihrer Oma und ist zum ersten Mal dabei, als die Oma ihrer wichtigen Aufgabe nachgeht. Dazu fahren die beiden auf den Friedhof, wo eine abenteuerliche Nacht beginnt…

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„Ich habe ein bisschen Angst“, sagte Rebecca und klammerte sich an die Hand ihrer Oma.

„Musst du nicht, mein Schatz!“, lächelte Oma und drückte ihre Hand fester, „das sind ganz normale, nette Menschen, so wie wir. Nur dass sie halt schon auf die andere Seite gegangen sind.“

Es war diese eine spezielle Nacht im Jahr. Diese eine spezielle Nacht, in der Oma immer auf den Friedhof ging. Diese eine spezielle Nacht im Jahr, in der die verstorbenen noch einmal zurückkommen konnten. Und Oma hatte die Gabe, mit ihnen zu sprechen, ihnen Mut zu machen oder Nachrichten und Informationen für die Familien anzunehmen.

„Du bist doch jetzt mein großes Mädchen“, sagte Oma, „und es ist Zeit, dass du meine Aufgabe bald übernimmst. Meine Großmutter hat mich auch zum ersten mal mitgenommen, als ich zehn war.“

Rebecca nickte stumm, als sie durch das schwere Eisentor auf den nebeligen Friedhof traten. Es war kalt und sie zog den Reißverschluss ihrer Sweatjacke zu. Es war stockdunkel, man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Irgendwo heulte eine Eule und hinter einer Buchsbaumhecke huschte etwas davon.

„Wie in einem unheimlichen Film“, murmelte Rebecca.

Ihre Oma lachte:„Du musst dich nicht fürchten. Friedhöfe sind nichts Schlimmes. Trauer kann auf eine spezielle Art und Weise auch etwas Schönes sein, weil wo große Trauer ist, war vorher große Liebe.“

Rebecca dachte über Omas Worte nach. Wahrscheinlich verstand man das nur wirklich als Erwachsene, überlegte sie. Oder als Oma.

Sie bogen um eine Ecke und kamen auf eine mit Efeu bewachsene Mauer zu. Oma half Rebecca hinaufzuklettern und stellte ihre riesige Handtasche ab. Dann kramte die eine Thermosflasche mit heißem Kakao, eine Dose mit belegten Broten und einen Beutel mit geschnittenen Äpfeln hervor. Was wäre die Nacht der Geister ohne Snacks!

Eine Weile saßen sie so da, nippten an ihrem Kakao und sahen zu, wie der Nebel waberte.

Dann hörte Rebecca eine leise Stimme.

„Hallo? Hallo Sie!“ eine milchige Gestalt kam aus dem Nichts auf sie zu. Als sie näher kam, erkannte Rebecca einen alten Herrn, auf einen Krückstock gestützt und mit einem Hut, der ebenso milchig blass erschien, wie der Rest seiner Erscheinung.

„Hallo, Sie sind der Erste heute!“, begrüßte Oma ihn mit ausgestreckten Armen, „wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich bin nicht sicher, ob mein Sohn über die Runden kommt. Er studiert und hat so wenig Geld zur Verfügung und ich konnte ihm nicht mehr sagen, wo mein Notgroschen versteckt liegt“, erzählte der Mann mit leiser Stimme.

Oma winkte mit ihrem Arm in Rebeccas Richtung, die von der Mauer hüpfte und einen Block und einen Zettel aus Omas monströser Tasche holte.

Eilig notierte sie sich den Namen des Mannes, wo er vorher gewohnt hatte und wie der Sohn hieß. Darunter schrieb sie, dass der Notgroschen unter einem losen Dielenbrett, drei Schritte nach rechts von der Eingangstür versteckt lag.

Der Mann bedankte sich und streckte seine Hand aus, um beiden zu danken.

Rebecca fand, dass es sich anfühlte, als würde sie einen kalten Fisch schütteln. Sie ließ sich jedoch nichts anmerken und sah dem Mann nach, der jetzt freudig lächelnd in den Nebel zurück ging.

„Das war doch schonmal ein guter Start!“, sagte Oma und klatschte zufrieden in die Hände, „jetzt haben wir uns ein Brot verdient.“

Es war noch immer dunkel, aber über den Spitzen der Bäume war bereits ein Hauch von Tageslicht zu erahnen. Rebecca fröstelte und zog sich die Ärmel ihrer Jacke über die Hände.

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Aus dem Nebel kam eine weitere Gestalt. Diesmal war es eine Frau. Sie war ebenso durchscheinend weißlich wie der Herr vor ihr, allerdings noch nicht so alt.

„Kommen Sie ruhig näher, wie kann ich helfen? Soll ich jemandem etwas ausrichten?“ fragte Oma freudig.

„Oh bitte,“ sagte die Dame vorsichtig, „ich habe niemanden mehr auf dieser Welt. Aber ich habe ein wunderbares Buch geschrieben, und niemand hat es je gelesen. Bitte, würden sie sich darum kümmern?“

„Na das ist mal was Neues“, murmelte Oma und bedeutete Rebecca mitzuschreiben.

„Mein Haus ist sicher leergeräumt, aber mein Manuskript liegt in einem Schließfach bei meiner Bank. Wenn sie es sich holen würden und es lesen, das würde mir alles bedeuten, dann könnte ich ruhe finden. Das Passwort zum Schließfach ist Mondsüchtig.“

„Ich habe es notiert“, sagte Rebecca vorsichtig lächelnd und deutete auf den Block auf ihren Knien.

Die milchige Dame strahlte: „Oh wunderbar!“

Oma sah lächelnd von ihrer Enkeltochter zu der Dame und als diese mit federnden Schritten wieder im Nebel verschwand sagte sie: „Siehst du, es ist nichts Schlimmes auf einem Friedhof, nur liebe Menschen mit Wünschen und Sehnsüchten und Sorgen, wie wir.“

Rebecca nickte und sah über Omas Schulter hinweg eine weitere Gestalt aus dem Nebel kommen.

„Hier ist ja heute mehr los als auf dem Busbahnhof“, stellte Oma fest und drehte sich um, um die Gestalt zu begrüßen.

„Haben sie meinen Hund gesehen?“, fragte ein sehr alter Herr, ohne sich die Mühe zu machen, sie zu begrüßen. Er war ebenso milchig durchscheinend wie die beiden vorangegangenen Gestalten. Rebecca schätzte ihn auf mindestens 120.

„Leider nicht, aber wenn sie uns etwas mehr verraten, können wir ihnen sicherlich helfen“, bot Oma an.

„Ich liege noch nicht lange hier und ich hatte keine Zeit meinen Hund in ein liebevolles Zuhause zu geben. Was wenn er es nicht gut hat, da wo er jetzt ist. Bitte, ich möchte, dass es ihm gut geht!“

„Wie heißt denn ihr Hund?“, fragte Rebecca und kaute gespannt auf dem Ende ihres Kugelschreibers.

„Finny“, sagte der Mann, „und sie ist ein Yorkshire-Terrier. Sie ist nicht mehr die Jüngste, aber sehr lieb und wohlerzogen und stubenrein.“

Rebecca spürte, wie wichtig dem Mann die Sache war.

Sie fragte ihn nach seinem Namen und wo er vorher gewohnt hatte. Sorgsam notierte sie seine Antworten auf ihrem Block.

„Ich verspreche wir versuchen ihn zu finden!“, erklärte Oma lächelnd.

Der Mann schien erleichtert, nickte und drehte sich zum Gehen.

„Der arme Mann…“, seufzte Oma und nahm noch einen Schluck Kakao.

„Und der arme Hund!“, fügte Rebecca hinzu. Sie wärmte sich die von Schreiben kalt gewordenen Finger an ihrer Tasse und schaute hinauf in den Himmel, der langsam von tiefschwarz zu dunkelblau wechselte. Eine Katze huschte über den sandigen Weg und hinter ihr trat erneut eine Gestalt aus dem Nebel.

So ging es noch eine ganze Weile. Geister kamen und gingen, klagten ihr Leid, richteten liebe Botschaften aus oder verrieten letzte Geheimnisse. Rebecca schrieb alles fleißig mit und nippte zwischendurch an ihrer Tasse oder nahm einen Bissen Brot. Mit jeder Erscheinung wurde es Rebecca weniger unheimlich. Tatsächlich war eigentlich nichts wirklich unheimlich an ihrem Besuch auf dem Friedhof.

Wie Oma gesagt hatte, waren dies nur liebe Menschen mit allerletzten Wünschen und sie beide waren so etwas wie übersinnliche Telefone.

Als schließlich der Nebel begann sich zu lichten und die Sonne sich hinter den hohen Hecken um sie herum ankündigte, packte Oma ihre Sachen zusammen und verstaute sie sorgfältig wieder in ihrer großen Ledertasche.

„Ich denke das war es wieder für dieses Jahr“, sagte Oma, stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um. Weit und breit keine weitere Gestalt zu sehen.

Als alles verpackt war und Oma ihre Tasche geschultert hatte machten sie sich auf den Weg zum Ausgang. Jetzt, wo das Licht die Spitzen der Grabsteine und Bäume um sie herum streifte und der Raureif auf den Pflanzen glitzerte, freute Rebecca sich schon ein wenig auf das nächste Jahr. Menschen zu helfen war eine wunderbare Sache, auch wenn sie Geister waren.

„Denkst du, wir können auf dem Rückweg gleich beim Tierheim halten?“, fragte Rebecca und sah ihre Oma mit großen Augen an.

Oma lächelte.

„Vielleicht hat jemand Finny abgegeben. Bitte Oma!“

Schließlich nickte Oma. Wenn Rebecca sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie nicht davon abzubringen. Rebecca machte einen kleinen Freudensprung und lief freudig neben ihrer Oma zum Auto.

Als sie von Parkplatz fuhren, drehte sie sich noch einmal um. Der Friedhof war jetzt in helles Licht getaucht und sah aus, wie ein normaler Friedhof bei Tage eben aussah. Nichts deutete mehr darauf hin, was hier gerade geschehen war.

„Bis nächstes Jahr!“, flüsterte Rebecca und lächelte.

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